: „Ein verdeckter Haider light“
Der hessische Grünen-Politiker Rupert von Plottnitz warnt davor, die Postkartenkampagne von Jürgen Rüttgers auf die leichte Schulter zu nehmen
taz: Müssen wir uns aufgrund der Erfahrung mit der Unterschriftenaktion Roland Kochs vor dem Postkarten-Populismus von Jürgen Rüttgers fürchten?
Rupert von Plottnitz: Die Erfahrung hat gezeigt, dass die CDU in der Lage ist, mit solchen Kampagnen Wähler über ihren traditionellen Bestand hinaus zu mobilisieren. Das Muster ist in Hessen wie in Nordrhein-Westfalen relativ identisch: Man versucht, sich bei denen anzubiedern, die schon immer der Meinung waren, in Deutschland gäbe es zu viele Nichtdeutsche.
Haben die hessischen Grünen damals die Zugkraft der Koch-Kampagne unterschätzt?
Nein. Aber man muss illusionslos feststellen, dass es uns nicht gelungen ist, die Wähler für unsere Position zu mobilisieren. Am Anfang haben wir möglicherweise den Fehler gemacht, zu glauben, dass diese hinterwäldlerische Aktion nur eine letzte Zuckung ist.
Wie kann man gegen die Rüttgers-Kampagne angehen?
Man darf sie nicht abtun, sondern muss sie ernst nehmen, gerade wegen des Potenzials an Ängsten in der Gesellschaft. Und man muss mit Plakataktionen und auf den Wahlkampfveranstaltungen immer wieder darauf hinweisen, dass eine kontrollierte Einwanderung durchaus der Wirtschaft der Republik und der Bevölkerung nützt. Ein Patentrezept gegen die Kampagne gibt es aber nicht, zumal wir es im Falle Rüttgers mit einem verdeckten Haider light zu tun haben. Das Beispiel Österreich zeigt, wie schwierig die Mobilisierung ist.
Werden die Grünen in Nordrhein-Westfalen das schaffen?
Ich bin da ganz optimistisch. In Hessen waren mit dem Thema Doppelpass mehr Ängste zu mobilisieren. In NRW geht es um die Frage: Gibt es genügend Arbeitskräfte in Bereichen, die für die wirtschaftliche Entwicklung Deutschlands wichtig sind. Da kann man – gerade am Beispiel des Informations- und Telekommunikationsbereichs – besser den Sinn, Zweck und Grund von Einwanderung darstellen, als damals in unserem Fall.
Kann die Welle der Entrüstung gegen die Postkartenaktion dabei helfen?
Die öffentliche Meinung war auch bei der hessischen Unterschriftenaktion gegen die Kampagne. Trotzdem war sie leider erfolgreich. Eine Garantie für die Wirkungslosigkeit der Aktion würde ich also auch nicht darin sehen, dass sich heute sogar die Wirtschaftsverbände an der Kritik der CDU beteiligen.
Interview: GUNNAR MERGNER
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