: Das Schreibbüro
Zwei Jahre lang saßen der Schriftsteller und die Schriftstellerin gemeinsam im Café. Kennen gelernt haben sie sich nicht. Doch jetzt haben die beiden sich in einem Veranstaltungsprogramm des LCBs wiedergetroffen
Gibt es Zufälle? Manche behaupten, es gäbe keine. Und ich neige dazu, ihnen Recht zu geben.
Doch heute kam Post ins Haus und brachte das Veranstaltungsprogramm des Literarischen Colloquiums für den Monat April. Was mir auffiel, war nicht so sehr die Ankündigung meiner eigenen Buchpräsentation. Mein Roman „Ein Land voller Helden“ soll dort demnächst vorgestellt werden. Davon wusste ich schon längst. Sondern die Ankündigung der Lesung eines anderen Autors einen Tag nach mir.
Ich kenne weder seinen Namen noch sein Werk. Ich kenne nur sein Gesicht, das ich fünf Tage die Woche vor mir sehe. Während ich an meinem Arbeitsplatz im Café „Sale e Tabacchi“ meine Bücher schreibe. Ich sehe den jungen, fleißigen Mann nun mindestens schon seit zwei Jahren an seinem Tisch sitzen. Er kommt viel früher als ich. Früh genug, um seinen Platz am Tisch immer frei zu finden. Vielleicht auch, weil seine Frau gute Beziehungen zum Café hat, denn sie ist vermutlich Italienerin.
Ich sitze gewöhnlich am Fenster, habe viel Licht und einen Überblick über das Geschehen im Café. Ich sitze dort an einem der Tische, blicke auf meinen Minicomputer, oder wenn ich nicht mehr weiter weiß, dann blicke ich vor mich hin. Blicke auf. Direkt auf ihn. Auf den anderen Schreiber. Er kann länger schreiben. Er hat einen Laptop. Sein Akku gibt ihm mehr Zeit. Dafür ist mein Gerät so klein, dass es in meine Handtasche passt und ich es überallhin mitnehmen kann. Es gab eine Zeit, in der ich die Steckdose des Cafés benutzt habe. Doch dem Besitzer war das nicht geheuer. So muss ich mich jetzt einschränken oder weiter mit der Hand schreiben, was ich gewöhnlich auch tue. Wenn ich nicht lese oder Menschen beobachte.
Das Leben im Café ist sehr aufregend. Besonders, wenn man es täglich in seiner Kontinuität beobachtet. Eine gute Möglichkeit, seine schriftstellerische Intuition zu schulen, sie auf die Probe zu stellen, und oft mit großer Freude zu entdecken, dass sie funktioniert. Sie funktioniert. Ein großes Glück, das einen entschädigt, wenn man sich beispielsweise nur ein Getränk pro Tag leisten kann und folglich beim Besitzer des Cafés nicht ganz so beliebt ist. Wie auch immer. Man erfährt eine Menge über das Leben. Und das Leben im Café gleicht auf komprimierte Weise dem Leben in der großen Welt da draußen.
Man entdeckt oder vermutet die Entwicklung von Lebensläufen. Von Schicksalen. Man entdeckt den Autor, den ich gerade erwähnte. Und eines Tages entdeckt man, dass er inzwischen ein ganzes Buch geschrieben hat. Oft, wenn ich nicht mehr weiter wusste, schaute ich vor mich hin. Und bekam neuen Schwung. Denn vor mir sah ich jemanden, der mit großer Lust schrieb. Und während er an seinem Buch schrieb, wuchs der Bauch seiner Frau von Tag zu Tag. Man konnte das gut beobachten, denn sie kam oft vorbei. Und sie saß an seinem Tisch, während er schrieb und schrieb.
Noch öfter aber kam ein Freund vorbei. Saß an seinem Tisch, trank Café, las Zeitungen und wollte sich mit dem Schreiber unterhalten.
Doch der Schreiber schrieb und schrieb. Und jetzt kommt Werbung ins Haus vom LCB. Und ich sehe ihn auf einem Foto. Da ist er und da ist sein Buch. Und da bin ich mit meinem Foto und mit meinem Buch. Und ich kann sagen, er hat sein Buch unter meinen Augen geschrieben. Er hat ein Buch geschrieben, während ich meines unter seinen Augen schrieb. Und während er von seiner Frau ... Oder wenn man will: seine Frau von ihm ein Kind ... Na, während im Bauch ein Kind wuchs, das konnte man eben beobachten. Ein Kind, das inzwischen ein paar Monate alt ist und ein Fräulein zu sein scheint. Es scheint ein Fräulein zu sein, das schon zu Windelzeiten eine starke Zuneigung für öffentliche Räume verspürt. Eine Caféliebhaberin ist. Oder einfach die harmonische Stimmung der Eltern genießt, wächst und gedeiht, sich sittsam im Café aufhält, ohne mit Gewalt auf sich aufmerksam zu machen.
Immer, wenn ich diese Familie sehe, denke ich, und ich weiß nicht, warum, an Hemingway und wünsche dem Autor viel Gutes. Erfolg mit seinem Entwicklungsroman. Und wünsche ihm noch, dass der Erfolg seine Familie nicht zerbröckeln lässt.
CARMEN-FRANCESCA BANCIU
Carmen-Francesca Banciu liest heute um 20 Uhr im Literarischen Colloqium (Am Sandwerder 5) aus ihrem Roman „Ein Land voller Helden“. Morgen Abend liest dann am gleichen Ort und zur gleichen Uhrzeit Christian Duda aus seinem Roman „Klar“
Zitate:
„Ich kenne weder seinen Namen noch sein Werk.“„Vor mir sah ich jemanden, der mit großer Lust schrieb.“
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