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Scham und Trauer ohne Folgen

Bundespräsident Rau besucht Ort des größten Wehrmacht-Massakers in Griechenland: das in Deutschland fast völlig unbekannte Peloponnes-Städtchen Kalavryta. Diskussion um griechische Entschädigungsansprüche bleibt außen vor

von Niels Kadritzke

Am zweiten Tag seines Staatsbesuches in Griechenland hat Bundespräsident Johannes Rau Kalavryta besucht. Das Städtchen ist das griechische Symbol für die Verbrechen der deutschen Besatzungsmacht während des Zweiten Weltkrieges. Im Dezember 1943 hatte eine großdeutsche Gebirgsjägereinheit in Kalavryta etwa 700 Zivilisten ermordet. „Ich bin hierher gekommen, um die Erinnerung in Deutschland daran wach zu halten“, sagte Rau in Gegenwart des griechischen Staatspräsidenten Stephanopoulos. „Ich empfinde hier an dieser Stelle tiefe Trauer und Scham.“

Dass Rau es ehrlich meint, wird von seinen Gastgebern nicht bezweifelt. Aber den Wunsch des Bundespräsidenten, die Erinnerung an das Massaker von Kalavryta in Deutschland „wach zu halten“, wird in Griechenland als wenig passend empfunden. Schließlich ist bekannt, dass in der Bundesrepublik kaum ein Menschen etwas mit dem Namen des Städtchens auf der Peloponnes anfangen kann. Im Gegensatz zu Oradour oder Lidice sucht man den Ortsnamen Kalavryta in deutschen Schulbüchern und Lexika vergeblich. Das hat die griechische Öffentlichkeit schon immer verbittert. Die Geste des deutschen Präsidenten wird also auch deshalb gewürdigt, weil der Ort und sein Schicksal damit endlich auch einmal in den deutschen Fernsehnachrichten seine Erwähnung findet.

Das Gedenken in Kalavryta erinnert in Griechenland aber auch an ein Thema, das beim Besuch eines Staatsoberhauptes kein Gegenstand der Verhandlungen sein kann. Zwar verwies Stephanopoulos gegenüber Rau auf „unterschiedliche Rechtsauffassungen“ hinsichtlich griechischer Entschädigungsansprüche aus der deutschen Besatzungszeit. Aber das brisante Stichwort „Distomon“ fiel nicht.

Distomon ist der Ort eines weiteren Kriegsverbrechens, das von derselben Wehrmachtseinheit begangen wurde wie das Massaker von Kalavryta. Ausgehend von der Rechtsmeinung, dass die deutschen Vereinigung die Reparationsfrage für die Nazi-Besatzung aktualisiert habe, hatte ein griechisches Gericht die Bundesrepublik 1997 zu hohen Entschädigungszahlungen an die Nachkommen der in Distomon Ermordeten verurteilt. Dieses Urteil könnte noch im April vom höchsten griechischen Gericht bestätigt werden. Dann würde sich aus griechischer Sicht – auch angesichts der Entschädigungsregelung für Zwangsarbeiter – die Frage stellen, wie die Bundesregierung reagiert.

Offiziell wird in Berlin die Meinung vertreten, ein innergriechisches Urteil könne keine vollstreckbaren Ansprüche begründen. Zudem schließt man aus, dass Athen die deutsch-griechischen Beziehungen mit Entschädigungsforderungen belasten könnte. Der Fall Distomon ist allerdings auch beim deutschen Bundesgerichtshof anhängig, dem das Urteil eines Kölner Gericht zur Revision vorgelegt wurde. Die griechische Entschädigungforderung ist also nicht vom Tisch. Und das Bekenntnis zu Trauer und Scham in Kalavryta ist keine rechtsgültige Antwort auf die Frage, wie sich das vereinigte Deutschland als Rechtsnachfolgerin des Dritten Reiches gegenüber den Opfern von Besatzungsverbrechen verhält.

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