: Gewaltfreier Holzkopf
Kaspertheater erfreut sich auch bei Computer-Kids ungebrochener Beliebtheit – pädagogisch korrekt, versteht sich ■ Von Sylvia Massow
Der Kasper, schwärmt Klaus Schriefer, „ist eine ganz tolle Figur“. Deshalb sind die Stücke, die der Handpuppenspieler mit seinem zipfelbemützten Liebling aufführt, auch „sehr liebenswert“. Sein Pub-likum gibt ihm Recht: Die Kinder hätten heute noch genauso viel Spaß daran „wie ich vor 50 Jahren“, sagt Schriefer und ärgert sich, „dass die Figur so negativ besetzt ist“. Kaspers schlechter Ruf stamme noch aus der Zeit, als er häufig auf Jahrmärkten zu sehen war. „Damals mussten die Puppenspieler mit einer reißerischen Handlung die vorbeilaufenden Menschenmengen zum Zuschauen bewegen.“ Da sei es üblich gewesen, dass das Krokodil den Seppl gefressen, oder der Kasper die Hexe mit der Bratpfanne erschlagen habe.
„So etwas kann ich heute nicht mehr bringen“, schüttelt Schriefer den Kopf. Als Puppenspieler trage er schließlich auch Verantwortung, „weil die Kinder Kasper sehr gerne nachahmen“. Und dass den handgeschnitzten Holzköpfen bei einer „Schlägerei“ die Nase abbricht, will er ebenfalls nicht riskieren – dafür sind Schriefer die wertvollen Figuren vom Holzbildhauer Till de Kock zu schade. Und zu teuer: Bis zu 800 Mark kann „eine hübsche Prinzessin mit aufwendigem Kleid“ kosten.
Die Idee, das Kaspertheater zu verfeinern, stammt nicht von Klaus Schriefer. Die hatte – in den 20er Jahren – Max Jacob. Er gründete 1921 die Hohnsteiner Puppenspielgruppe, die weit über die deutschen Grenzen bekannt wurde. „Max Jacob befreite Kasper von den Zoten“, berichtet Klaus Schriefer. „Unfreiwillig hat er dabei das pädagogisch einwandfreie Kasperspiel erfunden.“ Seither seien Jahrmarktrequisiten wie Bratpfanne oder Hammer tabu, und die Bösewichte – die Hexe, der Zauberer oder der Drache – bleiben am Leben.
„In einem meiner Stücke bringt der Kasper die gierige Hexe dazu, in einen Sack zu kriechen“, verrät Schriefer, wie der pfiffige Knirps seine Gegenspielerin ganz unblutig austrickst. „Du musst noch weiter hineinkrabbeln“, lockt er. „Der Schatz ist ganz unten versteckt.“ Auf den zugeschnürten Sack einschlagen darf er nicht. „Das wäre pädagogisch nicht korrekt“, warnt Schriefer. Als guter Held bringt Kasper die Hexe zur Polizei.
Dem Publikum gefällts. Klaus Schriefer und sein Mitspieler Anton Urbanik reagieren auf die Zurufe der Kinder, „eine Art Ping-Pong-Spiel“, das beide Seiten als besonders reizvoll empfinden. „Die Kleinen merken, dass wir nur für sie spielen, und dass alles jetzt und hier passiert“, erzählt der Puppenspieler. „Dem Fernseher können sie noch so oft zurufen – der antwortet nicht.“
Im Hamburger Puppentheater (Haus Flachsland, Bramfelder Straße 9) treten während der Saison, von September bis April, verschiedene Puppenbühnen auf – koordiniert von der „Arbeitsgemeinschaft für das Puppenspiel“. Dort begann der heute knapp 60-jährige Klaus Schriefer seine Karriere und blieb dem Verein 40 Jahre lang in den verschiedensten Funktionen – auch als Vorsitzender – treu. Inzwischen hat er sich weitgehend zurückgezogen. Doch mit seinem Kollegen Anton Urbanik spielt er weiterhin auf Anfrage Kaspertheater. „Stücke mit anderen Figuren sind kaum gefragt“, so Schriefer. Er und Urbanik gehören zu den wenigen noch aktiven Handpuppenspielern, die von Max Jacob persönlich ausgebildet wurden.
„Die Kinder im heutigen Computerzeitalter können technisch noch so versiert sein“, stellt Klaus Schriefer erstaunt fest, „sie lassen sich von unseren Märchen immer wieder einfangen. Selbst wenn sie uns mit unserer gesamten Ausrüs-tung hinter der Bühne gesehen haben.“
Wer neugierig auf das „pädagogische“ Kaspertheater ist, kann das Programm von Klaus Schriefer und Anton Urbanik unter Tel.: 040/41 86 47 anfordern. Informationen über Lehrgänge der Arbeitsgemeinschaft Puppenspiel und das Programm des Hamburger Puppentheaters gibt es unter Tel.: 040/511 31 16.
Die Puppen tanzen außerdem vom 5. bis 14. Mai im neuen Innenhof des Rathauses beim Europäischen Puppentheaterfestival.
Eine einmalige Gelegenheit für Puppenfreunde: der Weltbund der Puppenspieler (UNIMA) macht mit seinen Festspielen vom 24. Juni bis 2. Juli Station in Magdeburg.
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