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Im Fahrradwald

Weil sie zur Zeit alle in Deutschland leben: 43 Künstler aus 25 Ländern stellen in Berlin aus. Von einem Zusammenprall der Kulturen kann in der Schau „Heimat Kunst“ keine Rede sein

von HARALD FRICKE

Auf die Leerstelle kommt es an. Schließlich könne man an der Freilassung zwischen Heimat und Kunst erkennen, dass die zu der gleichnamigen Ausstellung eingeladenen Künstler und Künstlerinnen in einem „Zwischenraum“ agieren. So sieht es Michael Thoss als künstlerischer Leiter am Berliner Haus der Kulturen der Welt. Das ist eine elegante, selbst sehr ästhetisch gedachte Formel, mit der Thoss die „nomadisierenden Milieus“ auf einen Nenner zu bringen versucht. Für Sabine Vogel, die andere Kuratorin des Hauses, steht der Begriff allerdings nicht für den Ruhepunkt in der Flüchtigkeit, sondern markiert eine ganze Reihe aktueller Probleme der Kunst „in einer heimatlosen Zukunft“. Das Bild hat sie von Vilém Flusser, dessen Philosophie der Medien und Informationsströme zur Blaupause für die Sorge um Vereinzelung in Zeiten von Globalisierung geworden ist. Überhaupt sind Nomaden und Monaden nur eine Buchstabendrehung weit voneinander entfernt.

Seit den Neunzigerjahren kommen künstlerische Produktion und kulturelle Identität tatsächlich immer seltener zur Deckungsgleichheit. Egal, wie leidenschaftslos sich Jasper Johns zu den US-Flaggen verhielt, die er in den Sixties malte, das fertige Bild wurde im Kontext der Pop-Art als konkrete Auseinandersetzung mit Alltagskultur made in USA gedeutet. Heute sieht man den gelben, aus Gummihandschuhen gefertigten Seerosen der Chinesin Qiu Ping zwar an, dass sie ein Stück weit die Schönheit der asiatischen Gartenarchitektur nach Europa holen, wenn sie zur Biennale in den Kanälen von Venedig schwimmen oder jetzt im Spiegelteich vor der ehemaligen Kongresshalle im neuen Berliner Regierungsviertel. Aber die Bezüge rücken sie in einen mehrfach gebrochenen Diskurs zwischen Haushaltswarenpop und Exotismus – immerhin wurde die Seerose hier zu Lande nicht durch die chinesische Tradition der Pflanzenmalerei, sondern als Motiv bei Claude Monet berühmt.

Dabei schafft die Auflösung der kulturellen Ordnungen auch neue politische Zugangsweisen. Insofern spiegelt sich in „Heimat Kunst“, wie man den Stand der Dinge im Jahr 2000 wahrnehmen kann: 43 Künstlerinnen und Künstler aus 25 Ländern stellen in Berlin aus, weil sie zurzeit alle in Deutschland leben. Einige auf Durchreise, andere im Exil und noch andere vielleicht auf Dauer, wenn sich die Ausländerbehörde nicht quer stellt. Inga Svalva Thórsdóttir kommt aus Island, hat in Hamburg an der Kunsthochschule weiterstudiert und ist mittlerweile darauf spezialisiert, Objekte zu pulverisieren. Für Berlin wurde eine Herrentoilette des Kopenhagener Museums mit Hammern, Mörsern, Raspeln und Feilen zu feinem Staub gemalen – die Verschraubung im Boden inklusive. Die ganze Arbeit dauerte 68 Stunden und 5 Minuten, das steht auf den einzelnen Gläsern, die Thórsdóttir mit den Überresten gefüllt hat. Eine andere Art des Recyclings findet sich bei Mo Edoga wieder, der eine Weltkugel aus Ästen im Tierpark zusammengeflochten hat, weil für ihn die Endmoderne gleich in die Ökorenaissance übergeht – ein gutes Omen im beuysschen Sinn.

Überhaupt spielen Materialien aus zweiter Hand in fast alle Installationen hinein. Der neuseeländische Berlin-Stipendiat Peter Robinson hat einen Kuriositätenschrein aufgebaut, in dem nun Islam-Nippes neben Artikeln aus Beate Uhses Erotik-Museum liegt. Der Zusammenprall der Kulturen folgt dabei keiner globalen Spur – die Stücke wurden durchweg in Berlins Trashläden oder auf Flohmärkten gekauft. Ähnlich sammelt auch der aus Polen stammende Wawrzyniec Tokarski Mediensplitter und stückelt für seine „Diary“-Videos Fernsehprogrammfetzen aneinander. Dann werden Börsen-News auf BBC und bayerische Bergbauern im „heute-journal“ nur noch mit einem Schnitt am Computer getrennt. Oder verbunden. Besonders weit hat sich die in Tel Aviv geborene Rivka Rinn aus einem national verbindlichen kulturellen Rahmen gelöst: Sie zeigt auf der Glasfassade im Eingang auf transparenter Fotofolie einen anonymen Flughafen mit Skyline im Hintergrund. Wo liegt der Austausch, wenn man ständig auf Reisen ist?

Umgekehrt gibt es jedoch ebenso viele Arbeiten, die die kulturellen Eigenarten erst in der Fremde wieder entdecken. Pat Binder zum Beispiel hat eine Mutter aus Siebenbürgen, wurde in Buenos Aires geboren und zog 1996 nach Berlin. Ihre Minivitrine „Der Jorgito und die Patricia“ zeigt ein Kindheitsfoto, dazu kann man über Kopfhörer die kleine Pat 1963 mit ihrem Bruder deutsche Weihnachtslieder singen hören – bei 40 Grad im Schatten. Was bei Binder über die Engführung in Erinnerungsschlaufen funktioniert, breitet sich bei der Iranerin Parastou Forouhar als arabisches Schriftbild über Fußboden und Wände der Ausstellungshalle aus. „Heimat Anschrift“ ist eine ornamentale Raumzeichnung, mit der sich Forouhar, wie sie schreibt, „eine Illusionsburg“ gebaut hat, in der ihre persische Heimat als Text gespeichert ist. Um aber nicht der Melancholie zu verfallen, hat sie zusätzlich Tischtennisbälle ausgestreut, damit das Bild vom Leben in Bewegung bleibt.

Die leichteste Metapher für die Komplikationen des Unterwegsseins hat Zhu Jinshi im Park hinter dem Haus aufgebaut: 40 Fahrräder, die an Bambusrohren befestigt sind. Der Bambus sichert die Räder vor Diebstahl, die Räder geben dem sperrigen Holz einen Halt. Zhus „Bambus im Fahrradwald“ könnte als „direkter und offener Dialog“ gelesen werden, den sich Zhu mit seiner Kunst wünscht. Man muss nur aufpassen, dass man vorher nicht in die Bodenarbeit von Yoshiyuki Miura tritt und dessen 5.000 in militärischer Formation ausgelegte Löffel durcheinander bringt. Der Japaner war nämlich bei seinem ersten Essen in Deutschland sehr erstaunt, „mit ‚Waffen‘ wie Messer und Gabel zu speisen“. In seiner Heimat ist Essen dagegen „eine friedliche Angelegenheit“, bei der man Geschirr aus Holz oder Porzellan benutzt. Zwei Drittel der Weltbevölkerung leben so. Kriege gibt es trotzdem.

Bis 2. Juli, Haus der Kulturen der Welt, Berlin; Katalogheft: 25 DM

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