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Deutschland im Jahre 00

Die Aufgabe des Malers: Die Kestner Gesellschaft in Hannover verpflichtet Jörg Immendorff als Künstler der Wiedervereinigung und klammert die 70er-Jahre aus, in denen er sich für Mao und kollektive Projekte interessierte von JOCHEN BECKER

„Die Wunden der deutschen Teilung wie die Notwendigkeit, die Einheit zu denken, wird in diesen Bildern zum virulenten Ereignis“, so der Pressetext zu Jörg Immendorffs Ausstellung in der Kestner Gesellschaft Hannover. Der Düsseldorfer Maler habe „wie kein anderer deutsche Geschichte und deutsche Kultur beleuchtet, kommentiert und interpretiert“, heißt es im Katalogvorwort des Hausherren Carl Haenlein. Mit Werken aus den Achtzigerjahren, „die malerische Äquivalente für die politische Atmosphäre im geteilten Deutschland finden“, möchten die Kuratoren Immendorffs aktuelle Bilder als Maler der deutschen Union verortet sehen. Da habe ich meine Zweifel.

Es ist nicht zwingend, Immendorffs bildnerischem Repertoire auf national-mythischen Verbindungslinien über Jahrzehnte hinweg zu folgen. Schon 1966 hieß seine erste Einzelausstellung in den Grenzen der BRD zwar „deutsch, deutsch, deutsch“ (Galerie Fulda), die nächste allerdings „vietnam, vietnam, vietnam“ (Galerie Aachen). Während seiner Zeit als maoistischer Kunstlehrer an einer Düsseldorfer Hauptschule besuchte Immendorff den dissidenten Künstlerkollegen A. R. Penck in der DDR und schloss mit ihm zum 1. Mai 1977 ein Aktionsbündnis, das 1979 in „Deutschland mal Deutschland – Ein Deutsch-Deutscher Vertrag“ kulminierte. „Wir wollen ein gutes Kollektiv werden“, steht in einer Art Präambel. Von Einheit war nicht die Rede.

Im Vertragsbuch findet sich eine als „Café Deutschland“ überpinselte Seite mit dem Schildtext „Warten. Sie werden plaziert“. Es ist minus 22 Grad kalt, doch der Spruch „gemeinsam den Schnee fegen“ meint hier mehr. Verstanden haben sie sich im eisigen Osten nur, wenn sie gemeinsam zeichneten oder performten. „Dann wollte ich den Penck agitieren. Ich war ja in meinem ideologischen Wahn immer noch linkslastig. Penck aber war Perry-Rhodan-Anhänger. Sie müssen sich also eine Situation vorstellen, in der Penck mir was von Ufos erzählte und ich ihm von Mao Tse-tung“, heißt es im Katalog. Beide sind sie in ihrem jeweiligen Umfeld weitgehend isoliert. Ihr Handschlag durch die Mauer hinweg wie auf Immendorffs erstem großen „Café Deutschland“-Gemälde ist vor allem eine künstlerische Geste. Obgleich Mitte der Siebzigerjahre „mehr Volk wagen“ nicht am Horizont steht, deutet sich hier ein subkultureller Trampelpfad des deutsch-deutschen Dialogs an. Immerhin werden 1978 erste VWs in die DDR geliefert. In den frühen 80er-Jahren verschwindet Penck aus Immendorffs Bildern, da der DDR-Alien in den Westen rübergemacht hat. Fünfzehn Jahre später erhält der vormalige Maoist Immendorff in der Volksrepublik China eine Gastprofessur.

Ist „Café Deutschland“ nur mehr ein Trittstein des teutschen Weltenlaufs, bei dem laut Kestner Gesellschaft „die deutsche Historie ... mythische, fabulöse Wiederauferstehung“ feiert? Oder eher „von souveränem Skeptizismus bestimmter Höhepunkt“ seiner Bilderproduktion? „Deutschland in Ordnung bringen“ wie weiland 1983 im gemalten Schulterschluss mit seinem DDR-Kumpelkollegen A. R. ist heute prekär. Damals noch traf man sich im postpunkigen „Café Deutschland“ (auch „Caféteria All.“ genannt), wobei zwischen dem wulstigen „in Ordnung“ und dem tropfigen „bringen“ eine gemalte Pause steht. Die Neue Deutsche Welle gab sich geschichtsträchtig und mit eisigem Hakenkreuz. Nun heißt ein Nazi-Treff in Berlin-Lichtenberg „Café Germania“, und die Jungen Wilden sitzen heute im Konrad-Adenauer-Haus.

Kumpelnest Deutschland

Diedrich Diederichsen beschrieb 1983 Immendorffs selbst geschaffenes wie auch medial reproduziertes Bildrepertoire als eine Comix- oder TV-Serie, bei der „von Folge zu Folge der Leser zum Experten eines Kosmos ausgebildet wird“. Dieses Paralleluniversum ist jedoch keineswegs linear, sondern breitet sich in alle Richtungen aus. Dagegen beschränkt sich die Kestner Gesellschaft auf scheinbar klare Verhältnisse der letzten zwanzig Jahre und schneidet so die Wirren ab. Von der Übergangszeit der späten Siebziger, als der klassenkämpferische Hauptschullehrer Immendorff noch zwischen internationalistischer Agitation und deutsch-deutscher Frage changierte, ist in Hannover keine Arbeit ausgestellt. Das in Hannover früheste „Bild mit Zukunft“ von 1980 zeigt eine nackte Kriegerin die Treppe herabsteigend. Gemälde Marcel Duchamps, Gerhard Richters Interpretation und Markus Lüperz’ Stahlhelm-Stil werden hierbei seltsam ineinander gewoben. Zehn Jahre später sitzt der düster gestimmte Künstler mit Duchamp und Beuys am gemalten Tisch, während hinter ihnen EINHEIT durchs zerborstene Fenster leuchtet: Durchzug im Kumpelnest Deutschland. Eine Tüte mit Knallfröschen liegt auf dem Tisch, doch Beuys zündet Duchamp mit fackelartigem Sturmstreichholz die Zigarre an. Das Licht weitertragen nach Dunkel-Deutschland?

Früher lief die große Referenzmaschine, die eigene Bilderfindungen mit Huldigungen an zumeist große alte Männer der Zeit- und Kunstgeschichte verband, auf großen Touren. Der gemalte Dialog mit einer kollegialen „Gelehrtenrepublik“ (Ahrens) löste Immendorffs kollektive Projekte der Siebzigerjahre wie Büro Olympia, Mietersolidarität oder die Rosta-Fensterserie ab, bis 1993 schließlich Gertrude Stein eine „Fluxus“-bemalte Stuka in der Hand hält. Am Steuerknüppel des Sturzkampfbombers sitzt der Wehrmachtflieger Joseph Beuys. Immendorff malt seinen Lehrer historisch korrekt als Kampfpiloten und ist nun ganz alleine. Das „Letzte Selbstporträt I – das Bild ruft“ von 1998 hängt am Eingang der Kestner Gesellschaft. Dort saust Bild im Bild der Bomber Beuys auf einen Marktplatz nieder. Immendorff sitzt in einer Art Adlerkostüm eingepanzert am Tisch, auf der eine trübe Kerze die Wahrsagekugel ersetzt.

Deutschland war 1984 für Immendorff noch ein wabbelig-fünfzackiger Seestern mit eingewachsenem Baumstumpf und dem Brandenburger Tor als krustiger „Naht“. 1991/92 erscheint dieser Stern als „Langer Marsch auf Adler“ in Krallenform gebracht und bildet eine szenische Insel, die vor Hintergrund vergangener Schlachten zu schweben scheint. Die ähnlich summarisch das Oeuvre zusammenfassende „Adlerpartitur“ von 1997/98 wirkt wie eine Homepage der Erinnerung-Links, wo Archivbilder angeklickt werden könnten. Wo anfangs der neo-dadaeske „Lidl“-Holzklotz am langen Band vor dem Bundeshaus hin und her gezogen wurde, bis das aufgemalte Schwarzrotgold sich am Bonner Asphalt abschabte, hängt nun in der Skizze „zurück ins Wasser“ vom Juli letzten Jahres ein gezeichnetes Ölbild am Band.

Der Mauertraum ist aus

In den aktuellen Skizzen ist die deutsche Frage aus Boheme-Sicht ausgeträumt: Die Mauer ist weg, der Kopf des Künstlers nun in die Vergangenheit verdreht, während er vor sich her das Kerzenlicht der Aufklärung durch den schwarzen Wald trägt. Das Bild „Hui Gui“ von 1999 zeigt einen „Berg der Läuterung“: Am Schach- oder Elfenbeinturm zieht sich ein Pfad von Lidl bis zu klassizistischen Musen hinauf, an dessen Windungen entlang sich Mao, der Adler oder parlamentarische Bodenfallen aus dem Repertoire der Werkgeschichte finden. In späteren Bildern beugt sich der Turm, bis Risse aufspringen oder er gar zerbricht.

„Die Aufgabe des Malers“ von 1998 wirkt wie eine Zäsur. Das voll gestellte Szenario zeigt Fäuste, die Instrumente wie Violine, Pinsel, Buch oder Fernrohr hochhalten. Mit Davidsternen gebrandmarkte Arme ragen wie in Grimms Märchen aus dem wüsten Ackerboden hervor. Aus den Gliedmaßen treiben frische Blätter. An der Seite werden die Wälder abgeholzt, während im Hintergrund die Ruinenlandschaften brennen. Die mit Knochenmustern belegte Silhouette eines Malers pinselt sich einen Klassiker. Immendorff ruht als Totengräber, den Kopf gestützt auf der Schippe. Die Aufgabe des Malers ist Berufung ebenso wie Verzicht.

Können nach Auschwitz keine Bilder mehr gemalt werden? Drei Jahrzehnte nach Adornos Diktum zur Lyrik weicht auch bei Immendorff die stets effektvoll gesetzte Lichtdramaturgie einem Zwielicht. Als „radikale Konzentration“ habe er „Schritt für Schritt das erzählerische Lametta reduziert“, wie Immendorff im Gespräch mit Michael Stoeber bekundet. Der lange Weg zu ihm selbst zieht sich von frühen Einheitsszenarien hin zu einer seltsam ausgelaugten Peinture; die Bilder werden leer, der Hintergrund wandelt sich zur monochromen Fläche. Eine nicht gegenständliche Seite der Malerei, die große Abstraktion, schält sich zwischen den Figuren hervor: „Der erzählerische Raum spielt keine Rolle mehr, nur noch der malerische Raum.“ Das Ende der Geschichte, bis zum Mauerfall gerne herbeigeschrieben, ist erreicht. Immer öfter heißen Immendorffs Bilder „Ohne Titel“.

Das fahle Großbild „Wer reitet zu spät ... Schwarzes Schaf“ ist auf 99/00 datiert. Der Lebenslauf steht als geborstener Turm neben Bäumen, die der saure Regen zerfressen hat. Dazwischen läuft eine nackte Frauenfigurine als „Neues Deutschland“ auf Krücken und mit angebundenen Kugeln unter den Füßen. „Wer reitet zu spät“, heißt es hier in Abwandlung goldener Goethe-Worte und meint wohl eher Gorbatschows geflügelte Wendung zum Ende der DDR. Die Geschichte strauchelt auf schwarzen Schafen ins Ziel. Am Wochenende lag eine von Immendorff gemalte Variation des Motivs ganzseitig der Bild bei, „damit Sie, lieber Leser, ein Kunstwerk haben – ohne ins Museum zu gehen“. In Hannover aber gehen wir noch ins Kestner & Co gleich nebenan, empfiehlt die Restaurantleiterin Sandra Schwutke auf nachtblauen Karten, die auf dem Weg zur Toilette ausliegen. Eine durchweg gepflegte Atmosphäre verbreitet das Ausstellungshaus. Deutschland im Jahre 00.

Bis zum 7. Mai 2000, Kestner Gesellschaft, Hannover. Katalog: 48 Mark

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