berliner szenen: Welträtsel Busfahrplan
SCHÖN BLÖD
Wir treffen sie an der Kreuzung Leibniz- Ecke Kantstraße. Wir wollen zum Bus. Dort stehen die beiden: der eine hager, der andere platzend fett. Stehen dort und sind von völliger Tumbheit umwölkt. Betrunken sind sie nicht. Martina spricht sie an, um zu erfahren, ob der Bus schon vorbeigekommen ist. Beide, plötzlich von dem Wort, ja dem Gedanken „Bus“ angegangen, verfallen in eine hektische Wirrnis. Schnell rennt der Hagere zum Busfahrplan und ruft, dass der Bus schon durch sein müsse, während der Dicke erklärt, der käme noch – sie ständen hier schließlich schon eine Weile. Jetzt sind wir verwirrt. Der Hagere kommt zurück, beide blicken sich an, runzeln die Stirn. Dann laufen sie zum Fahrplan, suchen Erlösung, finden sie und rufen: „Der Bus kommt um 0.38 Uhr!“ Es ist 0.43 Uhr.
„Dann war er schon da?“, fragt Martina. Abermals Verstörung. Die beiden debattieren und befinden schließlich: Das könne so sein – oder anders. Dann erstarren sie und stehen scheinbar wieder nur dumm rum. Doch man sieht, dass es in ihnen tobt: Bus, Bus, Bus – ein Welträtsel. Schließlich der Ausweg. Die nächste Grünphase nutzend, laufen sie über die Straße, zum jenseitigen Busfahrplan. Sie lesen aufgeregt und rufen herüber: „Dieser Bus kommt eher!“
Dann, ohne Dank abzuwarten, lehnen sie sich an eine Wand und genießen ihren Ruhm. Da kommt unser Bus. Wir schauen aus dem Rückfenster: Längst wieder sind die beiden in ihrer tumben Glückseligkeit. js
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