: Kollektive Sinnproduktion: Beim Bewerbungstraining im Arbeitsamt darf jeder seine Geschichte erzählen
ARMEE OHNE UNIFORM
Bewerbungstraining des Arbeitsamtes. In einem Unterrichtsraum sitzen wir beieinander, Durchschnittsalter 50, der Dozent ist noch nicht da. Eine Teilnehmerin hat anscheinend schon einige solcher Maßnahmen hinter sich gebracht: „Hoffentlich müssen wir uns nicht vorstellen“, sagt sie, das ginge doch niemanden was an, was man so mache. Müssen wir aber doch, die Referentin bittet darum.
Wir, das sind: ein Diplom-Betriebswirt, eine Finanzkauffrau, ein Diplom-Kommunikationsdesigner, ein Bauschlosser, ein Lagerarbeiter mit einem Diplom in Business Management, das in Deutschland nicht anerkannt wird, und einem Studium der Fotografie in Kalifornien; ich bin Schriftsteller, dann ist da noch ein Verkäufer, ein Softwareeinrichter der DDR, eine Ärztin und eine abgebrochene Sozialpädagogik-Studentin.
Die Passwörter und Benutzernamen für Computer und Internet werden von der Referentin an die Tafel geschrieben. Kaffee ist am Arbeitsplatz allerdings nicht erlaubt, denn wenn ein Computer ausfiele, sagt die Referentin, werde der Netzwerksadministrator ungehalten. Dann erklärt sie, die Arbeitsvermittler wären jetzt verpflichtet, Eingliederungspläne, EPGs, zu schreiben: BWB, BKZ, AIS, SchlZ, D 400. „Dass jeder seine Geschichte zum Arbeitsamt erzählen kann“, sagt sie, „dessen sind wir gewiss.“
In der Frühstückspause erzählt der Diplom-Kommunikationsdesigner, dass ihm das Arbeitsamt Geld gekürzt hätte, mit steigendem Alter sinke sein Marktwert, so hätte man ihm das gesagt. Woanders begann ein Bewerbungstraining mit einer Meditation und ging bis zwölf Uhr nachts.
Nach der Pause kommt ein Diplom-Psychologe und erzählt, er habe den Taxischein und einen Taxibetrieb: „Machen Sie den Taxischein, aber sagen Sie es nicht dem Arbeitsamt, sonst werden Sie niemals wieder arbeitslos!“ Außerdem ist der Diplom-Psychologe Managementberater und interner Auditor des Arbeitsamtes. Wieder müssen sich alle vorstellen mit ihren Stärken. Ich sage: „Für Geld schreibe ich Ihnen jeden Dreck!“
Der Diplom-Psychologe wirft mit einem Polylux eine Liste an die Wand, die Bewerbungs-Top-14 aus Amerika. Top 10 lautet „Eigene Arbeitsmoral ständig verbessern!“, Top 11 „Eigene Arbeitsergebnisse ständig verbessern!“ Das erinnert mich sehr an den real existierenden Sozialismus: die ständige planmäßige allseitige Entwicklung im Sinne der Politik der Hauptaufgabe. Die Verostung des Westens schreitet voran.
Sagt jemand was, ruft der Referent: „Genau!“, „Richtig!“ oder „Sie haben es schon gesagt.“ Die Gesten, die Körpersprache dieses Bewerbungspsychologen gleichen denen der Verkäufer von Rheumadecken, Vortragenden auf dem Hochstaplerkongress oder denen von Scientology-Rednern. Alles ist eingeübt – selbst sein Zuspätkommen eingeplant – und heischt nach Sympathie. Seine Kaffeetasse, seine Hände, alles Requisiten seiner Vorstellung. Dieselben Gesichtsausdrücke, Spannungsbögen, Körperbewegungen, Satzkonstruktionen werden Managern auf der ganzen Welt empfohlen. Eine riesige internationale Armee, die statt mit Uniformen mit Schlipsen und Anzügen ausgerüstet ist. Und wo es passt, tragen sie, wie hier, auch Jeans und T-Shirt.
Mittagspause in der Caféteria. Die meisten, so erfahre ich, sind freiwillig hier und vom Sinn des Bewerbungstrainings überzeugt. Im Raum eines Arbeitsvermittlers, sagt die ehemalige Sozialpädagogik-Studentin, hätte es nach Bier gestunken. Sie hätte ihn darauf angesprochen, die Antwort: „Ich kann nichts riechen, meine Nase ist zu.“
Nach der Pause verkündet eine Referentin, dass natürlich keine Anwesenheitslisten geführt werden. Dann erklärt sie die Grundlagen des Versendens von E-Mails. Keiner achtet auf mich, als ich Schritt für Schritt rückwärts gehe, durch die Tür, dann die Treppe hinunter.
FALKO HENNIG
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen