DIE KATASTROPHE DER PDS UND IHRE FOLGEN FÜR DIE POLITISCHE KULTUR
: Schwach wie Oskar

Wenn eine Reaktion der Niederlage und dem Rückzug des PDS-Tandems Gysi/Bisky nicht angemessen ist, dann ist es die der Schadenfreude. Sich die Hände zu reiben und den Fall des verhassten Rivalen ins Aschgraue, in den Dunst der ostdeutschen Verhältnisse zu feiern, verrät nichts als altbundesrepublikanischen Idiotismus.

Links von Rot-Grün ist in Deutschland hinreichend Platz für eine moderne sozialistische Partei, die prinzipienfest genug ist, um das Primat der kapitalistischen Wirtschaft über die Politik zurückzuweisen – national wie global. Die genug Fantasie besitzt, um neue Formen demokratischer Partizipation zu entwickeln. Und die über hinreichenden Pragmatismus verfügt, um Kräfteverhältnisse einzuschätzen und das jeweils Machbare tatsächlich durchzusetzen. Eine solche Partei ist notwendig für den demokratischen Prozess – und sei es nur als Drohung, die morgen Wirklichkeit werden kann.

Die PDS war von dieser Art von Modernität weit entfernt, aber der Kreis der Reformer zeigte ernsthafte Anstrengungen, die Fenster aufzureißen und die Anhänger mit der Welt zu konfrontieren, so wie sie nun mal ist. Dabei kommt dem Streit um die Funktion der UNO und ihrer Möglichkeit, notfalls mit Gewalt gegen militärische Aggressionen vorzugehen, zentrale Bedeutung zu. Analysiert man die internationale Politik nach den gusseisernen Maßstäben der Leninschen Imperialismustheorie oder unterzieht man sich der Anstrengung, das emanzipatorische Potenzial, das in einer von den Vereinten Nationen garantierten internationalen Friedensordnung liegt, zu verstehen, zu entwickeln, es programmatisch umzusetzen? Ist es denn möglich, für eine neue Weltwirtschaftsordnung und für die Reform der Weltorganisation einzutreten, ohne die Forderung nach einem Gewaltmonopol der UNO ernst zu nehmen? Nicht irgendwann, sondern jetzt? Und welches Licht wirft eine Verweigerungshaltung auf die Einstellung der Partei des Demokratischen Sozialismus zu den Menschenrechten, die doch angeblich nicht mehr als kapitalistisches Verschleierungsmanöver angesehen werden, sondern als Grundlage des politischen Handelns?

Die Parteitagsmehrheit aus ein paar wirklichen Radikalpazifisten und den SED-Nostalgikern, die den (vorsichtigen) Vorstoß von Bisky, Gysi und Gefolgschaft zu Fall brachte, ist eine reine Negativkoalition. Sie ist gänzlich unfähig zur Entwicklung einer Programmatik, die die Partei des Demokratischen Sozialismus zur Weltgesellschaft hin öffnet.

Den Gegnern dieser Öffnung sitzt das Angstsyndrom im Nacken. Sie fürchten erstens, dass die vom Vorstand vorgeschlagene Linie zu militärischen Interventionen nur der erste Schritt ist zur Anpassung an die Politik der rot-grünen Koalition. Und sie fürchten zweitens, dass nach einem Sieg der Reformer auf dem Feld der internationalen Politik weitere Vorstöße in anderen Politikbereichen erfolgen könnten, die bislang als Reservate traditionellen sozialistischen Politikverständnisses gelten. Angst ist manchmal kein schlechter Ratgeber, aber Ängstlichkeit führt in der Regel zum Rückzug hinter sicher geglaubte Linien. Das ist der Ort, wo die Status-quo-Verwalter aller konkurrierenden Parteien die PDS am liebsten gefangen sähen.

Vor ein paar Jahren schrieb Enzensberger über die „Helden des Übergangs“. Er meinte damit die realsozialistischen Machthaber, die entschlossen und klug genug waren, sich der demokratischen Wende von 1989 nicht in den Weg zu stellen, zum Beispiel General Jaruzelski in Polen. Auch Gysi und Bisky sind Politiker des Übergangs. Aber sie haben nicht die Nerven, bis zum anderen Ufer durchzuhalten. Der eine will lieber als Anwalt seine Karriere beenden, der andere als Medienwissenschaftler. Beide verfügen über Selbstdistanz und Selbstironie, eine rare Eigenschaft im Politikergeschäft. Es waren nicht zuletzt diese Eigenschaften, die ihre Beliebtheit auch jenseits der PDS-Anhängerschaft erklärt. Aber beide sind auch späte Kinder der Postmoderne. Nicht umsonst ist Oskar Lafontaine ihr Lieblingspolitiker auf der deutschen Linken.

Gysi und Bisky wollen nicht in den Stiefeln der Arbeiterbewegung sterben. Eigentlich sympatisch, aber zu früh für die PDS. Und zu früh für die politische Kultur in Deutschland. War es nicht Karl Radek, der einmal sagte, Ironie und Geduld sind die Haupttugenden des bolschewistischen Funktionärs? Ach ja, Gysi und Bisky waren ja keine Bolschewiken. Deshalb können sie heute auch keine Helden des Übergangs sein. CHRISTIAN SEMLER