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Talking Heads der Geschichte

Gepflegtes soziales Umfeld: Jochen Gerz hat zwei Fernsehmonitore an der Pforte des Finanzministeriums installiert und zeigt Interviews mit Angestellten der Behörde. Heute weiht Minister Hans Eichel das Kunst-am-Bau-Projekt ein

von HARALD FRICKE

„Das ist eine Gegensprechanlage, mit Bildtelefon. Damit der Pförtner weiß, ob der Minister vor der Tür steht.“ Vermutlich werden eine Menge Passanten rätseln, was der in Paris lebende Künstler Jochen Gerz am Haupteingang des Bundesfinanzministeriums installiert hat. Dabei ist sein Kunst-am-Bau-Projekt für Berlin weniger umstritten als Hans Haackes „Bevölkerungs“-Skulptur im Reichstag. Und trotzdem ebenso politisch. Nur kommt bei Gerz die Kritik an der deutschen Geschichte, die mit dem Regierungsumzug in der alten Mitte von Berlin neu auflebt, ohne große Symbole und Gesten aus.

Bereits in der Amtszeit von Theo Waigel wurde Gerz durch den Kunstbeirat für eine Arbeit im Bundesfinanzministerium vorgeschlagen. Zunächst sah er den Auftrag eher skeptisch: „Was soll man noch sagen zu dem Haus?“ Das von den Nazis errichtete Gebäude selbst ist Gerz schon Zeichen genug für das „Hotel Deutschland“: Als Reichsluftfahrtministerium wurde der gewaltige Klotz 1936 für Hermann Göring fertig gestellt; nach dem Krieg fand hier die Gründung der DDR statt, später waren in dem Bau neun Ministerien der SED untergebracht, bevor nach der Wende zunächst die Treuhand einzog. Dass der Gebäudekomplex in Erinnerung an den ermordeten ersten Treuhandchef in Detlev-Rohwedder-Haus umbenannt wurde, zeigt noch einmal, wie unmittelbar sich das Zeitgeschehen dem Ort eingeschrieben hat. Für Gerz handelt es sich auch bei der momentanen Nutzung nur um eine von „vielen Bushaltestellen“ – wer weiß, was an der nächsten Station passiert?

Bei so viel historischer Dynamik wollte Gerz nicht noch mehr Symbole ins Spiel bringen. Schließlich sieht er seine Aufgabe darin, anstelle von künstlerischem Eigensinn den „War-Zustand“ aufzuzeigen, damit die Gegenwart in Zukunft „lesbar“ wird – und sei es als Vergangenheit. Deshalb hat er sich für eine Medienarbeit entschieden, die dokumentiert, wie die Angestellten der Behörde über das Leben denken: „Das Geld, die Liebe, der Tod, die Freiheit – was zählt am Ende?“ Diese Frage war Grundlage von 70 Interviews, aus denen Gerz 51 Sequenzen von jeweils einer Minute herausgefiltert und in seine Installation übernommen hat. Der Satz soll zusätzlich als Laserschrift über die Wände des Gebäudes wandern. Die Antworten kann man in Dreierblöcken auf zwei Fernsehmonitoren verfolgen, die als „Bankschalter“ in die Säulen des zur Wilhelmstraße hin angrenzenden Zauns des Finanzministeriums eingelassen worden sind.

Der vermeintliche Überwachungsapparat entpuppt sich als Infobox, die das Innenleben der Behörde hinaus in den öffentlichen Raum trägt. Da ist etwa eine junge blonde Frau, die zu DDR-Zeiten „das soziale Umfeld gepflegter“ fand. Oder ein Beamter aus Karlsruhe, der sich nicht so recht mit „preußischer Pflichterfüllung“ anfreunden kann, weil sein „Großvater noch Anarchist war“. Eine andere Frau ist noch immer darüber erschüttert, dass sie in einem Gebäude arbeitet, wo früher „Widerstandskämpfer hingerichtet wurden“. Und Hans Eichel sieht in dem Staat, für den er als Finanzminister einsteht, „die Summe seiner Bürger und deren Entscheidungen“.

Das alles klingt nach einer hübsch in Szene gesetzten Lehrstunde, bei der Talking Heads über Demokratie reden. Für Gerz gibt die Befragung dagegen das „normale Problembewusstsein“ wieder, mit dem man sich in Deutschland auseinandersetzt. Das kann man durchaus als Ergänzung zu Haackes Parlaments-Beet verstehen: Bei Gerz kommt die Bevölkerung zu Wort.

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