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„Echte Abwechslung!“

Tei 14 unserer kleinen unverzichtbaren Radioserie: Norddeutschlands erster Privatsender, ffn, leidet mit theoretischer Notwendigkeit unter Distinktionsdefiziten

Nie war so viel Radio wie heute. Da kann man schon mal den Überblick verlieren. Das macht aber eigentlich nichts. Denn über ffn lässt sich nicht viel anderes sagen als über RB 4 und Bayern 3 und ...

Ob es nun heißt „Das Beste aus Rock, Pop und Dance von den Siebzigern bis Heute“, „Die Superhits der Achtziger und Neunziger und das Beste von Heute - echte Abwechslung!“, oder ob es eine andere Variante auf die alte Leier ist, dass bei speziell diesem Sender Hörer und Hörerinnen mit ihrem ganz besonderen Musikgeschmack ganz besonders gut aufgehoben sind: Es gerät solch‘ Gebrabbel letztlich immer in Widerspruch zu dem „Sachzwang“, möglichst viele dieser Geschmäcker zu bedienen, was selbstverständlich nur funktioniert, wenn der größtmögliche Konsens beständig reproduziert wird. Dies ist so, weil es eine das Geschäft belebende Konkurrenz gibt, in der mehrere „Mitbewerber“ um die gleiche Zielgruppe buhlen. Und es schaut so aus, als gebe dieses Ziel lediglich einen einzigen Weg vor.

FFN, in seinen Anfangszeiten eine mancherorts als erfrischend empfundene Anreicherung des Angebots, ist mittlerweile nur noch einer von vielen „Anbietern“. Dass es also gerade nicht um Abwechslung geht, um eine möglichst große Spannbreite unterschiedlicher Musik, wird bei einem kurzen Selbstversuch klar. Ohne Überraschungen, ohne Brüche und Kontraste reiht sich olle Kamelle an neue Kamelle an olle Kamelle an neue ..., berechnet, wie wir mittlerweile wissen, von Computern, die aus dem Archiv ein homogenisiertes, keimfreies Programm garantieren ohne lästige Nebenwirkungen wie etwa Sinneskitzel zu generieren. Der andere wesentliche Programmpunkt, in dem sich die Dudelfunks dieser Welt nichts geben oder nehmen, ist eine allgegenwärtige Fröhlichkeit, bis zum Exzess, vorzugsweise zu Zeiten, wo Leute sich aus dem Bett quälen, für den Arbeitstag herrichten und eben jenen absolvieren, was alles eine Menge Zeit kostet. Damit diese schnell vergeht und bei aller Langeweile oder deren Gegenteil, Streß, nicht die verständliche Reaktion der Überdrüssigkeit zu unangenehmen Konsequenzen führt, versüßt sich ein nicht gerade kleiner Teil des Proletariats den Tag mit dem Radio.

Schon Morgens in der Früh versprühen diese Heiterkeits-VorturnerInnen - ganz unabhängig von echten Befindlichkeiten - Fröhlichkeit und teilen so ihrer Klientel mit schier menschenverachtender Konsequenz mit, dass es auch ohne einen besonders guten Grund möglich ist, jeden noch so doofen Job ohne Murren, ja, am besten noch mit Begeisterung zu erledigen.

Bei FFN ist dieser Tage ein „Jingle“ zu hören, welches ganz gut auf den Punkt bringt, wie die angemahnte Bescheidenheit geht. Ein junger Mensch erzählt, auf seine Zukunft befragt, dass er eine Ausbildung zum Millionär machen möchte um später Popstar zu werden. Eine beunruhigend beruhigende Stimme verrät alsdann, dass bei FFN vielmehr Leute richtig seien, die sich mit bodenständigeren Vorhaben tragen. Für diese bescheidenen jungen Leute hat der Sender in Zusammenarbeit mit dem Arbeitsamt sogar eine Lehrstellenbörse eingerichtet.

Es reicht also nicht, sich mit nüchternem Blick dreinzufinden in eine vermeintlich nicht zu ändernde Realität, es soll auch noch Spaß machen. Da das offensichtlich ein Umgang mit der Angelegenheit ist, den eine Menge Menschen pflegen, haben sie die Wahl aus einer wachsenden Zahl von Programmen, die das gleiche Ziel verfolgen - bis hinein in die Behauptung des Gegenteils. Nicht einmal das Gebrabbel von den „besten Hits aus Rock, Pop und Dance aus den 70ern, 80ern und 90ern und die besten Hits von Heute“ wird sie eines Tages noch unterscheiden. Dann wird Phil Collins Kanzler von Europa sein. Andreas Schnell

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