: Graue Theorie versilbern
Bei der Agentur Bredey können Studierende ihre Examensarbeiten zu barem Geld machen: ganz legal und ohne Vorleistungen. Monatlich finden ungefähr 200 Werke einen Käufer
von MARTIN KALUZA
Hat man es etwa leicht als Student? Hat man nicht. Die ganzen Seminare und das viele Denken lassen einem kaum Zeit, um mit Brotarbeit ein bisschen Geld zusammenzukratzen, und noch dazu wird man geschröpft, wo es geht: steigende Mieten, Rückmeldegebühren, die BVG wird teurer, und die Bierpreise sind auch nicht mehr das, was sie einmal waren. Wenigstens gibt es jetzt eine Möglichkeit, die Examensarbeit zu Geld zu machen – auch über den Schein hinaus, den Oma ihren frisch diplomierten Enkeln mit auf den Lebensweg gibt. Eine Hamburger Agentur nimmt Abschlussarbeiten in ihren Katalog auf und bietet sie, vor allem übers Internet, zum Verkauf an.
Dabei ist sie nicht einmal wählerisch: Jedes Thema kann einen Käufer finden, auch wenn es noch so abwegig erscheint. Die Idee zu der Agentur hatte Björn Bredey, als er 1996 selbst an einer Abschlussarbeit zum Diplomkaufmann über „Erscheinungsformen von Konflikten in Unternehmen mit Teamorganisation und Möglichkeiten der Konfliktlösung“ strickte.
„Ich hatte wegen der Arbeit mit mehreren Firmen zu tun, und überall hieß es: Wenn die Arbeit fertig ist, schick mal ein Exemplar rüber“, erinnert er sich. Das brachte ihn darauf, dass es auch Interessenten für andere Arbeiten geben müsste, die sonst unbeachtet im Regal verstauben.
Inzwischen ist die Wohnzimmerfirma, die Bedey vor vier Jahren mit dem Wirtschaftsingenieur Martin Haschke und dem Mathematiker Guido Meyer gründete, zur einzigen Agentur herangewachsen, die den Handel mit Diplomarbeiten als Hauptgeschäftszweig betreibt. Mehr als 2.200 Titel haben sie im Angebot, jeden Monat finden 200 davon einen Käufer.
Das Prinzip ist einfach: Absolventen laden sich den Vertrag aus dem Internet herunter und schicken eine Kopie ihrer Arbeit, versehen mit Inhaltsverzeichnis und kurzer Zusammenfassung, an die Agentur. Die stellt die Kurzbeschreibung ins Netz, füttert Suchmaschinen mit den Schlagworten, und wenn sich Käufer finden, schickt ihnen ihr Exemplar.
In der Regel liegt der Verkaufspreis bei 396 Mark, von denen faire 198 Mark an den Verfasser gehen. Da Studenten nur die Hälfte zahlen, fällt dann auch das Honorar geringer aus und beträgt 30 Prozent des Verkaufspreises, also üblicherweise 59,40 Mark. Für die Verfasser fallen – außer der einen Kopie – keine weiteren Kosten an.
„Wer uns eine Arbeit zuschickt“, fasst Bedey die Idee zusammen, „kann eigentlich nur gewinnen.“ Viele Arbeiten konnte er schon zwei- oder dreimal vermitteln, und auf der Homepage werden die Bestseller aufgelistet: Schon gut 20 Texte wurden ein dutzend Mal und öfter verkauft, der Spitzenreiter – Bedeys eigene Arbeit – ging 21-mal über den Ladentisch.
Selbst aus Brasilien sind schon Bestellungen eingegangen. „Dabei ist es gar nicht so einfach, die Arbeiten zu bekommen. Viele Absolventen wollen damit nichts mehr zu tun haben“, erklärt Bedey. Geradezu typisch sei es, dass man nach einem halben oder einem Jahr Abstand selbst denke, „so toll war die Arbeit ja doch nicht.“ Schließlich kennen auch die Mitarbeiter der Agentur die Enttäuschung, wenn sich weder Verwandte noch Freunde für die mühsam erstellten Kapitel interessieren.
Doch andererseits werden solche Arbeiten auch nicht für die Verwandtschaft geschrieben, sondern richten sich eigentlich an ein spezifisches Fachpublikum – und das muss erst einmal von den geistigen Anstrengungen erfahren. Bedey macht den Absolventen auf ganz einfache Weise Mut. Er erinnert sie an ihre Stärken: „Eine Diplomarbeit ist oft die einzige Arbeit, die sich mit einem bestimmten Thema beschäftigt, und jedes Mal steckt eine eigene Gedankenleistung darin. Für andere Studenten kann sie damit zu wichtigem Quellenmaterial werden.“
Neben Studenten wissen auch Unternehmen die Arbeiten zu schätzen. Zum einen kann eine aktuelle, gut aufgezogene Diplomarbeit zum Beispiel über „Online Service Center,“ „Relationship Marketing“ oder „Instrumente zur Motivation von Außendienstmitarbeitern“ vielfach teurere Studien von Unternehmensberatungen oder Marktforschern ersetzen. Zum anderen lesen Firmen die Arbeiten mitunter wie ein Bewerbungsschreiben.
Auf Wunsch wird den Arbeiten deshalb ein Autorenprofil beigelegt. Bedey: „Wir haben auch Anfragen von Firmen, die gleich die Autoren wollen und die Arbeit gar nicht kaufen.“ Auch in diesen Fällen ist die Agenturen nicht kleinlich und stellt, wenn es dem Absolventen denn recht ist, den Kontakt her. Noch sind die Käufer zu zwei Dritteln Studenten, doch die Agentur ist dabei, sich den Firmenmarkt weiter zu erschließen.
Wenn im Katalog überwiegend Diplomarbeiten aus den Wirtschafts- und Ingenieurwissenschaften stehen, heißt das nicht, dass es für Philosophie- oder Germanistiktexte keinen Markt gäbe. „Wir haben schon Arbeiten verkauft, bei denen ich zunächst meine Zweifel hatte“, so der Firmengründer, „etwa über Papageienfang in Neuguinea oder über die Erfahrungen arabischer Studenten in Berlin.“
Diplomarbeiten Agentur Bedey, Haschke & Meyer GbR, Hermannstal 119 k, 22119 Hamburg. Telefon (0 40) 6 55 99 20, Fax (0 40) 6 55 99 222 www.diplom.de
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