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Durchschnitt ist gut

Die Vielzahl der Aktienangebote verwirrt vor allem Einsteiger. Wie also anlegen? „Gier ist der schlechteste Ratgeber“, warnt Erwin Heri

Die letzten Wochen haben es gezeigt: Deutschland ist im Aktienfieber. Das Angebot an Kaufwerten ist rapide gestiegen. Die Deutsche Bundesbank zählte im vergangenen Jahr genau 7.170 Aktiengesellschaften in Deutschland. Im Jahr davor habe diese Zahl erst bei knapp 5.470 gelegen.

Damit beschleunige sich auch der Trend zur Rechtsform Aktiengesellschaft, beobachtete man beim Deutsche Aktieninstitut (DAI). Während es von der viertausendsten zur fünftausendsten Gesellschaft 21 Monate gedauert habe, sei der Spung von 5.000 auf 6.000 in nur acht Monaten vollzogen worden. Die jüngsten 1.000 seien in sechs Monaten hinzugekommen. „Wenn dieses Wachstum anhält, werden wir im kommenden Jahr wieder über 10.000 Aktiengesellschften in Deutschland haben“, prognostiziert Rüdiger von Rosen, geschäftsführendes Vorstandsmitglied des DAI. „Das entspricht dem Stand der 20er-Jahre.“

Der Vertreter der Aktiengesellschaften beurteilt diesen anhaltenden Trend positiv: „Die Rechtsform der Aktiengesellschft hat für Unternehmen viele Vorteile“, erklärte von Rosen und betont vor allem „die flexibleren Finanzierungsmöglichkeiten“ sowie die „Chance zur Mitarbeiterbeteiligung“. Es zeige sich, dass dies „das Gewinnen qualifizierter Führungskräfte für eine Aktiengesellschaft wesentlich erleichtert“. Allerdings, so meint er, müssten sich diese steigenden Zahlen auch in „steigenden Neuemissionen niederschlagen“. Gerade die neuen Unternehmen an der Börse hätten nach Erhebungen des Instituts „in den letzten Jahren überdurchschnittlich viele Arbeitsplätze geschaffen“.

Doch was die Firmen begeistert, quält die Kleinanleger, zumal die Einsteiger. Die Marketing-Strategen der Neuemissionäre – oft ausgestattet mit reichen Werbebudgets – schaffen es zwar, inzwischen auch fast dem letzten Deutschen klar zu machen, wo er sein Glück zu finden hat. Doch die Dagobert-Duck’schen Dollarzeichen in den Augen können auch den Blick trüben. Woran soll man sich orientieren? Wo warten welche Gewinne, wo die Verluste? Wie also wird man einfach reich? Das möchte naturgemäß wohl jeder gern wissen. Nüchternheit ist da eher unpopulär. Genau dies aber ist Thema eines neuen Buches von Erwin Heri. Er ist Mitglied der Konzernleitung der Winterthur-Versicherungen, einer der größten institutionellen Anleger Europas, und mit den Finanzmärkten der Welt bestens vertraut. Heri warnt vor allzu großer Euphorie und stellt im Umgang mit Wertpapieren vor allem die Disziplin und Ausdauer der Anleger in den Vordergrund. Es gelte, die gröbsten Fehler der Geldanlage zu vermeiden und mit einem durchschnittlichen Ertrag zufrieden zu sein. „Wie sonst selten im realen Leben, verhält es sich bei der Geldanlage nämlich so, dass der Durchschnitt bereits recht ansprechend ist“, so der Baseler Professor. Einige wenige Grundsätze genügten bereits, um „ansprechende Vermögenserträge zu erarbeiten“ – ohne dass man ein fundiertes Wissen über alle Vorgänge auf den Finanzmärkten und Detailkenntnis zu allen möglichen Instrumenten und Anlagestrategien besitzen müsse. Denn: „Versuchen Sie nicht, mehr zu wissen als der Markt. Der Markt weiß viel“, lautet eines seiner schlauen Gebote, von denen er insgesamt acht aufgestellt hat. Wer anlegen will, solle nicht versuchen, den „richtigen Moment“ zu erwischen: „Es gibt ihn nicht“, weiß Heri, ebenso wenig den „richtigen Titel“. Spaß solle man zwar haben, dabei jedoch vor allem die strategische Planung nicht vergessen. Wer mitspielen wolle, sollte versuchen, einen Teil des Geldes „auf Grund einer systematischen Research-Tätigkeit zu investieren“ – aber diese Summe klar und diszipliniert begrenzen. Wer dann gewinnt, erreiche schon einiges. Wer verliert, verliert wenigstens nicht alles.

Wer zu hohe Erträge verspreche, dem solle man nicht trauen – schon gar nicht dem, der „über das finanzielle Paradies auf Erden phantasiert“. Die langfristige Durchschnittsrendite auf den Aktienmärkten beträgt etwa 8 bis 12 Prozent pro Jahr, und „nichts deutet darauf hin, dass sich diese Rendite in den nächsten Jahren wesentlich ändern würde“. Mehr Rendite bedeutet immer gleichzeitig ein höheres Risiko für den Anleger.

Heri plädiert dafür, den langfristigen Horizont in den Aufbau des Vermögens unbedingt einzubeziehen. Nur so werde es möglich, „dem Charakter einer Aktieninvestition wirklich gerecht zu werden“. Nach kurzfristigem Gewinn möge man nicht trachten, so Heri: „Gier ist der schlechteste Ratgeber an den Finanzmärkten.“

Doch trotz aller Unsicherheiten sollten sich Anleger nicht abschrecken lassen. Denn die meisten Menschen würden auf irgendeine Weise sparen. „Investieren Sie“, ermuntert Erwin Heri, „und zwar bewusst.“ Denn „über längere Zeit brach liegendes Geld bedeutet verpasste Opportunitäten“. ANDREAS LOHSE

siehe auch den Buchtipp rechts

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