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Ein Name mit braunen Schönheitsflecken

■ Die Schule im niedersächsischen Beverstedt möchte ihren Namen loswerden, weil er einem Nazi-Wissenschaftler gehört / Kommunalpolitiker blockieren Namensänderung

„Du gehst doch auf die Nazi-Schule!“ – solche Beschimpfungen müssen sich Schüler in der Samtgemeinde Beverstedt immer wieder anhören. Nazi-Schule? Alles wirkt wie ein gewöhnliches Schulzentrum, wie sie seit den Siebzigerjahren überall im ländlichen Westdeutschland gebaut wurden.

Die Sekretärin meldet sich mit „Adolf-Butenandt-Schule“, aber der Name steht nicht draußen dran. Eigentlich sollte er das längst: 1997 beschloss die Gesamtkonferenz, der „Haupt- und Realschule mit Orientierungsstufe Beverstedt“ einen Namen zu geben, mit dem sich die Schüler besser identifzieren können. Wer wäre da besser geeignet gewesen, als der berühmteste Enkel der Stadt? Adolf Butenandt, dessen Mutter aus Beverstedt stammte, gewann 1939 den Chemie-Nobelpreis für seine Forschung über menschliche Sexualhormone, die er seit 1936 als Direktor des Kaiser-Wilhelm-Instituts für Biochemie durchführte. 1960, nachdem die Kaiser-Wilhelm- zur Max-Planck-Gesellschaft mutiert war, wurde Butenandt sogar deren Präsident. Niemand führte die renommierte wissenschaftliche Institution so lange wie er, der später Ehrenbürger von Bremerhaven und München wurde.

Ein gutes Vorbild auch für die Beverstedter Schüler, so dachte man vor einigen Jahren. Deshalb sollte sein Name in großen Lettern über dem Eingang prangen. Der Schriftzug wurde bestellt und Schulleiter Helge Rust konnte einen Kollegen für eine Einweihungs-Laudatio gewinnen: Ralf Dieninghoff, Lehrer für Mathe und Naturwissenschaften, war wegen eines Herzinfarkts beurlaubt und freute sich über die kleine Aufgabe. Doch bei seinen Recherchen stieß er auf immer neue, unangenehme Fakten. Der Auftrag für den Namens-Schriftzug wurde eilends gestoppt, als Verbindungen Bute-nandts zu Nazi-Wissenschaftlern ruchbar wurden. Dieninghoff hat mittlerweile einen Aktenordner mit Informationen über den Namensgeber gefüllt: Sicher ist inzwischen, dass Butenandt NSdAP-Mitglied war. Nach dem Krieg gab er einen so genannten „Persilschein“ für Ottmar von Verschuer ab, der als Leiter des Kaiser-Wilhelm-Instituts für Anthropologie für Josef Mengeles Menschenversuche in Auschwitz mitverantwortlich war. Die Ehrenerklärung von Butenandt und anderen Kollegen ermöglichte von Verschuer die Fortsetzung seiner wissenschaftlichen Karriere nach 1945. Bute-nandts Assistent und späterer Nachfolger in der Institutsleitung, Gerhard Ruhenstroth-Bauer, führte im Zweiten Weltkrieg Menschenversuche durch: Epilepsiekranke Kinder wurden in eine Überdruck-Kammer der Luftwaffe gesperrt. Umstritten ist Butenandts Verhalten gegenüber seinem jüdischen Vorgänger Carl Neuberg: Während belegt ist, dass er gleich nach Übernahme des Direktorpostens auf die Kappung jeglicher Beziehungen zwischen Neuberg und dem Institut gedrängt hat, reklamierte Bute-nandt, seinem Amtsvorgänger persönlich geholfen zu haben. Die Max-Planck-Gesellschaft (MPG) lässt inzwischen ihre Nazi-Vergangenheit umfassend untersuchen, unter anderem auch das Wirken Adolf Butenandts. Problematisch ist dabei allerdings, dass der 1995 verstorbene Wissenschaftler seinen Nachlass bis zum Jahr 2025 sperren ließ. Die MPG lässt die Unterlagen nun zwar dennoch durch ausgewählte Wissenschaftler sichten, ob sie aber die Ergebnisse auch publizieren kann, ist unklar.

In Beverstedt warten derzeit dennoch alle auf eine Klärung durch die Berliner WissenschaftlerInnen. Zwar hat die Gesamtkonferenz der Schule bereits vor zwei Jahren beschlossen, den Namen wieder zu ändern, aber passiert ist nichts. Entscheiden muss nämlich der Kreisausschuss. Dort sprengt das Thema die politischen Lager: Der CDU-Abgeodnete Christian Steiner beantragte eine Namensänderung, wurde aber lediglich von den Grünen unterstützt. SPD-Bürgermeister Martin Bensen, der auch stellvertretender Schulleiter ist, setzte sich mit einem Antrag auf Nichtbefassung durch – gegen einiges Rumoren in der eigenen Partei. Nach langwieriger eigener Recherche hält Bensen es für möglich, dass Butenandt selbst keinerlei Schuld trifft. Und eine Vorverurteilung will er auf jeden Fall vermeiden. Bensen ist in dieser Hinsicht ein gebranntes Kind, seit man ihn vor einigen Jahren in die Nähe von Korruption rücken wollte. Die Verletzungen von damals sitzen immer noch tief. Deshalb will er jetzt die „verschiedenen Seiten“ der Person Bute-nandt gerecht gewürdigt wissen.

Sein Chef, Schulleiter Helge Rust, geht dagegen davon aus, dass der Name „mittelfristig nicht zu halten“ ist. „Mittelfristig“ ist Chris-tian Steiner zu vage. Er will die Namensänderung noch in den verbleibenden eineinhalb Jahren dieser Legislaturperiode erneut in den Kreisausschuss einbringen. Schließlich sei der Name auch in dieser Legislaturperiode beschlossen worden, so Steiner, da könne man das Problem nicht einfach der nächsten Parlamentarier-Generation überlassen. Über seine Kollegen in der Kommunlapolitik ärgert der Christdemokrat sich richtig: „Die Leute sind doch ignorant und wollen nicht wahrhaben, was passiert ist. Hinterher können sie sich prima darauf zurückziehen, dass sie ja nicht gegen eine Umbenennung waren, sondern nur die Studie abwarten wollten.“

Unter den SchülerInnen sind die Meinungen geteilt: Sebastian (14) hat irgendwann erfahren, dass Butenandt eine „rechte Sau“ war. Er glaubt, der Namensgeber seiner Schule habe „im KZ Gas in die Räume geleitet“. Er schimpft: „Wie sieht denn das aus, wenn wir uns bewerben und da steht Adolf-Butenandt-Schule.“ Simon (14) meint, Butenandt habe von Versuchen an Kindern gewusst. Er findet es deshalb gut, dass ein neuer Name kommen soll. Ein Mädchen mit blondierten Haaren und Nasenste-cker dagegen weiß nicht, wer Butenandt war. Den Namen für die Schule findet sie trotzdem „toll, weil wir sowieso zu viele Ausländer an der Schule haben.“ Ihren Namen will sie lieber nicht sagen. Für einen Moment kommt die Erinnerung an die Zeit zurück, als Beverstedt bundesweit Schlagzeilen machte: Mitte der Neunzigerjahre verbreiteten Neonazis in dem 14.000-Seelen-Ort ein Klima der Angst und prügelten Obdachlose aus dem Dorf. Eine Sonder-Ermittlungsgruppe der Cuxhavener Polizei schüchterte die Szene damals ein wenig ein, aber verschwunden sind die Rechtsradikalen bis heute nicht. Immer wieder ziehen sie mit Nazi-Parolen durch den Ort, und es heißt, sie würden von Altnazis protegiert. Während für sie die Person Butenandt zur Kultfigur werden könnte, wissen die meisten Schüler noch nicht einmal, um wen es geht. Seit der engagierte Pädagoge Dieninghoff pensioniert ist, wird immer unwahrscheinlicher, dass sich daran etwas ändert: „Von den jungen Kollegen verfolgt niemand die Sache weiter“, sagt Dieninghoff, der inzwischen aus Beverstedt weggezogen ist.

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