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„Offen für alle Meinungen“

Liberal, demokratisch, aufklärerisch, katholisch – die Zeitung „Tygodnik Powszechny“ war immer anders als die offizielle Linie und hat deswegen jetzt Ärger mit der polnischen Staatskirche

von JOANNA WIÓRKIEWICZ

Der Zweite Weltkrieg tobte noch und seit der Konferenz von Jalta, auf der die Teilung Europas in zwei Blöcke – Ost und West – besiegelt wurde, waren gerade vier Wochen vergangen, als im Frühjahr 1945 die erste Ausgabe von Tygodnik Powszechny erschien.

In Krakau, wo 78 Kirchen das Bild der Stadt bestimmen, konnte eigentlich „nur“ eine katholische Zeitschrift entstehen. „Katholisch“ bedeutete schon damals „anders“, und so verblieb das Blatt auch in den folgenden Jahrzehnten stets in Opposition zur staatlich-kommunistischen Presse. Von Anfang an hat sich der kleine Kreis der Gründer vorgenommen, unpopuläre Positionen zu vertreten, im Kampf gegen alle Klischees. Die Redaktion hat die Grenze des Erlaubten ständig bewusst überschritten: Schon wenige Monate nach Kriegsende begann eine Reihe von Essays über die Deutschen und ihr Verhältnis zu Polen – damals mehr als spektakulär und in der polnischen Öffentlichkeit höchst umstritten. Zwanzig Jahre später druckt die Zeitung die ersten Interviews mit Oppositionellen aus der DDR, sie unterstützt ganz offen die „Aktion Sühnezeichen“. Polens Edelfedern publizieren hier: Mrozek, Herbert, Milosz – Autoren, die von den staatlichen Zeitungen und Verlagen fast durchweg gemieden wurden.

Eigener Schreibstil fürunbequeme Wahrheiten

Ein eigener Schreibstil entstand, indem indirekt und durch Anspielungen die offiziell verleugnete, unbequeme Wahrheit ausgesprochen wurde. Józefa Hennelowa, heute stellvertretende Chefredakteurin, war fast von Anfang an dabei: „Wir waren ständig von der Beschlagnahme bedroht“ – ständig stand die Redaktion unter dem Druck der Geheimdienste. „Dort, wo man nur vom freien Wort träumen konnte, war das einzige freie Wort die Predigt in der Kirche. Wir haben unsere Aussagen daher oft mit theologischer Reflexion verbinden müssen, um sie überhaupt veröffentlichen zu können“, erinnert sich Hennelowa heute.

Die RedakteurInnen wollten den Bereich des Legalen so breit wie möglich halten, und die manchmal aberwitzigen Strategien im Kampf gegen die Zensur wurden dem Leser dabei nicht verheimlicht. Zweimal wurde Tygodnik Powszechny vorübergehend geschlossen.

Die Abschaffung der Zensur jedoch hat jetzt ein völlig neues Kapitel für die Redaktion geöffnet: Niemandem war so richtig klar, wie hart die „Freiheitsprobe“ in der neuen politischen und vor allem wirschaftlichen Realität der Neunzigerjahre sein würde.

Und die härteste Kritik kam – wider Erwarten – von der Kirche, die allzu plötzlich ihre politische Macht ausspielte und von der freien katholischen Presse erwartete, ein noch besseres Instrument zur Unterstützung der kirchlichen Autorität zu werden.

„Das war vielleicht noch berechtigt für die kirchlichen Zeitschriften, nicht für uns“, sagt Józefa Hennelowa. „Wir wollen ein offener Ort der Meinung und Diskussion sein, für alle Menschen, die in Polen leben.“

Der Kampf um das Bewusstsein der Polen geht weiter: Nach den Erfahrungen mit dem despotischen System besteht jetzt die Gefahr einer Polarisierung der polnischen Gesellschaft zwischen Xenophobie und aufgeklärter Demokratie. Manche Jugendliche berufen sich in radikaler Weise auf die traditionsreiche Vergangenheit – ein Missbrauch der polnischen Tradition und deren Respekt für die kulturellen Unterschiede im Land.

Um jetzt ihr 55-jähriges Jubiläum zu feiern, hat die Redaktion ein „Gericht über das XX. Jahrhundert“ einberufen. Viele polnische Intellektuelle, Schriftsteller, Philosophen und Künstler sind nach Krakau eingeladen, um Zeugnis abzulegen. Die Geständnisse und das Urteil erscheinen demnächst als Buch.

Fauler Kompromiss mitder katholischen Kirche

Mit der katholischen Kirche wurde dagegen ein nicht ganz so glücklicher Kompromiss geschlossen: Nach dem Tod des langjährigen Chefredakteurs Jerzy Turowicz wählte die Redaktion Adam Boniecki zum Nachfolger. Damit hat jetzt ein Oberkatholik das Sagen, denn Boniecki war bisher Chef der Vatikan-Zeitung Osservatore Romano.

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