in fußballland : Christoph Biermann über die Nähe zum Fan
WEICHES HERZ IM HOCHHAUS
Der Bundesligaprofi Andreas W., dessen wirklicher Name hier nichts zur Sache tut, fuhr in seinem Wagen durch einen Vorort der Stadt im westlichen Ruhrgebiet, wo Hochhaus neben Hochhaus steht. Es fiel ihm nicht leicht, die angegebene Adresse zu finden, und als er endlich angekommen war, irrte er noch einige Zeit herum, bis er den Eingang gefunden hatte.
Andreas W. ist ein Fußballprofi, den man sensibel nennen würde, wenn das in seiner Branche nicht einen beleidigenden Unterton hätte. Obwohl seine Spielweise nicht auf volkstümliche Weise populär ist, nimmt er doch die Verantwortung gegenüber denen ernst, die mit ihrem Interesse seinen Lebensunterhalt sichern. Man könnte aber auch sagen, dass er ein weiches Herz hat.
Jedenfalls hatte Andreas W. irgendwann eingewilligt, als die drei Abgesandten des Fanclubs „Affensturm“, wie wir ihn hier nennen wollen, wiederholt ihre Einladung vorgebracht hatten, zu einem ihrer Treffen zu kommen. Und er war auch nicht irritiert gewesen, als die Affenstürmer ihn nicht in eine Kneipe gebeten hatten, sondern ihm jene Anschrift gaben, die aufzufinden ihm solche Schwierigkeiten machte.
Es war längst dunkel geworden, als er auf die Klingel drückte und dann mit dem Aufzug in die oberste Etage fuhr, 15 oder gar 20 Etagen hinauf. Der Chef des Fanclubs begrüßte ihn freudestrahlend an der Tür und sagte, dass der „Atze“ auch noch kommen würde. „Atze“, der eigentlich einen anderen Spitznamen trägt, ist Spielführer der Mannschaft von Andreas W. Als der Profi nur die beiden anderen Fans sah, die schon am Trainingsplatz gewesen waren, wurde ihm klar, dass die drei nicht die Abgesandten des Fanclubs waren, sondern der ganze Fanclub.
Die folgenden zwei Stunden kamen Andreas W. länger vor als eines dieser Spiele, in denen man eine hohe Niederlage bezieht und weiß, dass jede Minute nur zusätzliche Zeit für den Gegner ist, noch einen weiteren Treffer zu machen. Damit soll nicht gesagt sein, dass die Affenstürmer ihren Gast unfreundlich behandelten, sie hatten sogar einen Kuchen gebacken. Aber leider hatten sie nichts zu sagen und nichts zu fragen, weshalb sich Andreas W. sehr viele Fotoalben anschauen musste, in denen die Reisen des Fanclubs zu Auswärtsspielen dokumentiert waren. Irgendwann kam der Chef der drei auf sein Hobby zu sprechen, das Sammeln von Polizeimützen, und der Gast hatte große Mühe, seine Fassungslosigkeit zu verbergen.
Zwischendurch sagten die Affenstürmer immer wieder, dass „Atze“ bestimmt auch noch kommen würde, aber er kam natürlich nicht, denn er hat kein weiches Herz wie sein Kollege. Doch Andreas W. bringt es einfach nicht fertig, sich wie der Kapitän von den Fans dadurch freizukaufen, dass er Hundert-Mark-Scheine zückt und damit Eintrittskarten oder Fanartikel kauft und sie unters Volk wirft wie Glasperlen unter die Eingeborenen.
Irgendwann war klar, dass weder der „Atze“ kommen würde, noch ein Abschied gegen die Höflichkeit verstoßen würde. Also sagte Andreas W., dass er nun gehen und den Weg auch selbst finden würde, aber der Chef der Affenstürmer bestand darauf, dass es um diese Zeit besser wäre, wenn er ihn hinunterbegleiten würde. Als sie im Aufzug waren, hielt der nur zwei Etagen später, und zwei junge Männer stiegen ein, mit denen nicht zu spaßen war. Finster wie in einem Gangsta-Video schauten sie und debattierten darüber, ob sie nicht mal die Alte aus dem 12. Stock vögeln sollten, während Andreas W. so aufmerksam wie nie in seinem Leben die Spitzen seiner Schuhe beobachtete und der Affenstürmer den Atem anhielt.
Unten verabschiedeten sie sich voneinander, und Andreas W. fuhr nach Hause. Die weiteren Einladungen der Affenstürmer hat er dann freundlich, aber für seine Verhältnisse bestimmt abgelehnt, lieber trifft er sich mit einem anderen Fanclub, der nur aus Frauen besteht, die sich um benachteiligte Kinder kümmern und ganz empört sind, dass der Vertrag mit ihrem Lieblingsspieler noch immer nicht verlängert worden ist.
Autorenhinweis:Christoph Biermann, 39, liebt Fußball und schreibt darüber
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