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Von Allmende zur Messe

■ Zehn Jahrhunderte Bürgerweide kurz zusammengefasst: Das sumpfige Grasland fürs Vieh wurde zum Hightech-Messenplatz, beschreibt ein ausführlicher Bremer Bildband

Kein Gras, kein Strohhalm steht mehr. Keine stummen Zeugen, aus den rund tausend Jahren Bürgerweide. Nur schnöde Dokumente aus verworrenen Tagen, die viele Jahrhunderte lang vor allem vom Vieh auf der Bürgerweide erzählen. Bis letztlich Industrie und Messe wichtiger wurden. Davon handelt Karolin Bubkes Buch: Ein gemächlicher Marsch durch die Jahrhunderte von Gräfin Emma bis Wilhelm Benque.

Und Bubke räumt auf mit den ollen Märchen der Bürgerweiden-Sage: Zum Beispiel mit dem Krüppel, der binnen eines Tages ungeheure 450 Hektar Fläche umrundet haben soll, die Gräfin Emma von Lesum dann gönnerhaft der Stadt schenkte. Kein Wort vom wackeren Krüppel in den Annalen. Ab ins Reich der Legende. Nur die Schenkung – die war echt.

Nicht allzu weit von der Stadt sollten nämlich die Bürger ihr Vieh abstellen können und zwischendurch schnücks zum Melken vorbeischauen. Doch das war nicht jedem vorbehalten – die Bürgerweide erklärt kapitelweise mittelalterliche Sozialgeschichte: Zum Beispiel konnten Eigentümer von Giebelhäusern vier Kühe dort weiden lassen. Keller-Bewohner dagegen nur eine. Neustädter durften erst ab 1681 je „eine milchende Kuh“ auf die Wiese lassen.

Diese strengen Zulassungsquoten sorgten schon Mitte des 16. Jahrhunderts für die „erste revolutionäre Bewegung“ mit Mordanschlag in Bremen: Der Aufstand der Einhundertundvier. Diese „spitzbübischen Nichtstuer“ (O-Ton Rathaus 1530) mänkelten an den Privilegien herum und am Domkapitel, das über die Jahre die öffentlich-rechtliche Fläche schön hübsch zu eigenen Gunsten verkleinert hatte.

Mit der Neuzeit bekam auch die Bürgerweide eine neue Aufgabe: Als Prestigeobjekt der Stadt, nachdem immer weniger Vieh auf dem Matschboden abgestellt wurde, und die Stadt es als als Gemüseland verpachten musste. Hier kommt Wilhelm Benque ins Spiel. Der Landschaftsgärtner aus Lübbeck, der mit der Planung eines „Waldparks“ beauftragt wurde. Denn dem Bremer, der Bremerin fehlte eine „Gehölz-Anlage“, die dem „allgemeinen Gesundheitsstand fürderlich“, eine dem „Körper und Geist gleich erquickende Wohl-tath“ sein sollte.

Es wurde also gepflanzt auf der verwahrlosten Viehweide: Rund eine Million Eichen, 20.000 Stück Nadelholz, noch mal so viele Buchen und 13.600 Stück Mischwald brauchte Benque für den ersten Bauabschnitt anno 1866.

Auf den südlicheren Teil kam Ende des 19. Jahrhunderts die Industrie. Allen voran der Bahnhof (einst der modernste Deutschlands), dann der Schlachthof, Gaswerk, Elektrizitätswerk.

1925 fand der Senat, Bremen brauchte eine Stadthalle, um die wirtschaftliche Stellung zu stärken. Dann kommen die Messehallen – eine nach der anderen. Das letzte Jahrhundert wird leider viel zu kurz und nur aus architektonischer Sicht betrachtet. So gehen zehn Jahrhunderte unvermittelt schnell zu Ende. Die Oberhand behielt leider die story ums liebe Vieh. pipe

Karolin Bubke: Zehn Jahrhunderte Bürgerweide, Aschenbeck & Holstein Verlag, 1999, 35 Mark

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