: Die Helden sind müde
Einsame Träumer des bewaffneten Kampfes. „La Negra“: Raul Zelik erzählt einen hintergründigen Revolutionsthriller aus Kolumbien und will mit Action Sinn konstruierenvon ULRICH NOLLER
Für den großen Hype war Raul Zelik zu früh dran mit seinem Erstlingswerk. Aber wenn man denn eine neue erzählende Literatur ausmachen möchte in Deutschland, dann darf der Roman „Friß und stirb langsam“ aus dem Jahr 1997 eigentlich nicht fehlen. Hart an der Grenze von Realität und Fiktion, erzählte der Autor aus dem Leben junger Türken, Kurden und Deutscher aus Berlin; von Streetball und HipHop, von Abhängen und Angeben, von Arbeitslosigkeit und Rassismus, von Liebe und Freundschaften.
Grundlage des Buches war der Fall Kaindl: Bei einer Schlägerei hatten Berliner Jugendliche 1992 einen Funktionär der Deutschen Liga für Volk und Heimat erstochen und mussten untertauchen. Raul Zelik, der im Umfeld der Täter verkehrte, machte aus der Story eine Geschichte. Und Zelik erzählte, zumindest in Teilen, so wild, so echt und berührend, dass es ein Vergnügen war und gänzlich ungewohnt und man ihm kompositorische Schwächen ebenso nachsah wie den agitatorischen Überbau seines, na ja, Antifa-Romans. Von diesem Autor, das war klar, wäre noch eine Menge zu erwarten; dann zumindest, wenn er es schaffte, sich auf seine erzählerischen Möglichkeiten zu konzentrieren.
Jetzt ist „La Negra“ erschienen, Raul Zeliks zweiter Roman, der selbst hohe Erwartungen nicht enttäuscht. Knapp und präzise, süffig und lakonisch, wechselnde Perspektiven sorgsam montierend, berichtet der Autor aus dem von Terror und Bürgerkrieg geplagten Kolumbien: Von ideologischen Selbstzweifeln befallen und vom ewigen Regen entnervt, plant eine Guerillagruppe einen riesigen Coup, die Besetzung der Erdölmetropole Barrancabermeja. Der Plan ist kompliziert und eigentlich von vornherein zum Scheitern verurteilt. Aber bis es soweit ist, besteht ausreichend Gelegenheit, die Beteiligten besser kennen zu lernen. Ricardo etwa, den Vordenker, der sein Leben bedingungslos der Revolution schenkt. Flacoloco, der den Kids in den Armenvierteln das Theater beibringen möchte und doch immer nur auf Telenovelas stößt. Den General Ayala Diez, den Großgrundbesitzer Mariani und ihre fiesen Helfershelfer. Den Deutschen Müller, eine Parodie auf Kohls Regierungsdetektiv Werner Mauss. Und natürlich Luisa, la Negra, die Farbige aus Brasilien, die den Chef gibt, obwohl sie Frau und Schwarze und Ausländerin ist.
Tatsächlich ist nicht der große Plan das eigentlich Spannende an diesem Roman, sondern der genaue, dokumentarische Blick ins Alltagsleben der Personen, die ihn umzusetzen gedenken. Flacoloco, Ricardo und La Negra, das wird schnell klar, sind wichtige Mitarbeiter der Guerilla. Illegal und ständig auf der Flucht, leben sie mal in den brodelnden Metropolen, mal im ewigfeuchten Dschungel. Von revolutionärem Optimismus ist bei ihnen allen aber nicht mehr viel zu spüren, der seit Jahren andauernde Bürgerkrieg erscheint als aussichtsloser Trott. Die Helden sind müde, und das Ende des großen Planes ist auch eine Metapher für ihr ganz persönliches Scheitern: Kämpferischer Aktivismus kann die persönliche Illusionslosigkeit nicht länger übertünchen. „Die Hauptakteure“, sagt Raul Zelik, „sind einsame Träumer, die mit ihren Ideen und Sehnsüchten scheitern und die, obwohl sie sehr enge Beziehungen zueinander haben, ihre Einsamkeit nicht überwinden können.“
Dass die Charaktere, zumindest auf Seiten der Guten, gut getroffen wirken, hat seinen Grund, denn Raul Zelik kennt Land und Leute aus dem Effeff. Schon mit 17 hat der angehende Autor einige Monate in einer Arbeitsbrigade in Nicaragua verbracht. Danach studierte der gebürtige Münchener in Berlin Lateinamerikanistik und Politikwissenschaften. Zugleich unternahm er regelmäßig lange Reisen auf den Kontinent, mal privat, mal als Unterstützer der sozialen Bewegungen vor Ort. Immer wieder war Zelik aber auch journalistisch in Lateinamerika unterwegs, hat ein Sachbuch über das korrupte Kolumbien veröffentlicht. Und auch seinen Roman begreift der Autor als realitätsnahes Mosaik aus möglichst authentischen Personen und Geschichten.
Fast alle Charaktere des Buches besitzen in der kolumbianischen Wirklichkeit ein persönliches Pendant: Ricardo zum Beispiel trägt die Züge lokaler Guerillakommandanten, die Zelik bei einer Interviewreise kennengelernt hatte. Flacoloco spielt Theater in Medellin. Und La Negra hat den bewaffneten Kampf längst hinter sich gelassen, sie lebt heute als alleinerziehende Mutter in Mexico-Stadt. „Als ich die Idee für diesen Roman entwickelte, hatte ich den Wunsch, einen Teil der kolumbianischen Realität so abzubilden, wie ich sie als Fremder oft wahrgenommen hatte: wie die verworrenen Stränge eines Krimis, deren Zusammenhänge man erst allmählich herausfinden muss, ein widersprüchliches, brutales und doch lebendiges Bild. Ich stellte mir die Aufgabe, ein Buch aus den vielen bizarren Geschichten zusammenzusetzen, die ich erzählt bekommen hatte“, sagt der heute 32-Jährige.
Freimütig bekennt der Autor sich zu seinen erzähltechnischen Einflüssen, Gabriel Garcia Marquez und Manuel Puig zum Beispiel, die ebenfalls mit Parallelmontagen und dem cineastischen Blick arbeiten. Trotzdem zählt Raul Zelik sich nicht zu den Epigonen des magischen Realismus. Betrachte man die Geschichten, die sich im heutigen Kolumbien tagtäglich ereigneten, sei die Bezeichnung „magisch“ zu positiv, sagt Zelik. Tatsächlich gelange man bei einer Reise dorthin in eine völlig andere Wahrnehmungswelt, in der man viel extremere Situationen erlebe als hierzulande.
Eine magische oder gar stilisierte, ironische Betrachtung von Gewalt, etwa im Stile Quentin Tarantinos, sei in Bogotá oder Medellín undenkbar: „All diese Metzeleien könnten da tatsächlich passieren.“ Und auch die brutale Szene im Buch, in der Gewerkschafter von Söldnern mit Stihl-Motorsägen Stück für Stück hingerichtet werden, sei nicht magisch oder ironisch zu verstehen. „Die kolumbianische Wirklichkeit übertrifft dies bei weitem. Massaker an Bauern, die mit der Motorsäge verübt werden, sind dort praktisch an der Tagesordnung. Und das Schlimme ist, dass über die Hintermänner dieser Verbrechen in der internationalen Öffentlichkeit überhaupt nicht geredet wird.“
Gemeint seien damit nicht nur korrupte Politiker und geldgeile Großgrundbesitzer vor Ort, so der Autor weiter, sondern auch internationale Konzerne, die von der Vertreibung der Kleinbauern und von der Zerschlagung der Gewerkschaften profitierten.
Raul Zelik ist ein politischer Schriftsteller, ein moderner Vertreter der engagierten Literatur. Ein unzeitgemäßer Autor. Das Erzählen dient Raul Zelik nicht zur Selbsttherapie, ihm geht es um die Konstruktion von gesellschaftlichem Sinn. Und Sinn, das bedeutet nicht zuletzt auch Sinnlichkeit, also Action, Handlung und Dynamik.
Ein bemerkenswertes Buch mit Botschaft, das sprachlich und kompositorisch erstaunlich souverän daherkommt. Der ganz große Wurf ist Raul Zelik mit mit „La Negra“ vielleicht nur deshalb noch nicht gelungen, weil der Autor letztlich nicht konsequent agierte: Statt den großen Plan mit offenem Ende scheitern zu lassen, hat er seinem Roman ein eher fragwürdiges Happy End aufgepfropft.
Ausgerechnet wegen einer Telefonistin aus Esslingen können die Guten dann ausnahmsweise einmal die Bösen niedermetzeln. Ein überraschender Ausgang, der zwar zunächst für Genugtuung sorgt, insgesamt aber eher programmatisch wirkt.
Raul Zelik bestreitet indes, dass das Ende ideologische Gründe haben könnte. Die Bösen hätten sterben müssen, sagt der Autor, denn sie hätten es nicht anders verdient. Schon allein deshalb, weil er diese widerwärtigen Charaktere nach dem soundsovielten Überarbeiten des Manuskriptes einfach nicht mehr ertragen konnte.
Raul Zelik: „La Negra“. Edition Nautilus, Hamburg 2000, 265 Seiten, 29,80 DM
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