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Dem Erhabenen sehr nah

Steine, Menschen und Seen: Die Grönland-Serie der norwegischen Fotografin Mette Tronvoll im Bethanien

Das Szenario ist immer dasselbe: hinter rauhen Bergkämmen ein Streifen Himmel, manchmal von einer mächtigen Wolkendecke überhängt. Ganz nah das Wasser, ölig spiegelnd; dazwischen das goldgelb mit Blumen durchwirkte Land. Ein unabänderliches Szenario, mit einem Hauch von Ewigkeit behaftet. Nur fahle Sonnenstrahlen am Nachmittag, dünne Nebelschwaden morgens oder das bläuliche Licht, wenn das Dunkel in den Tag hinüberbricht, markieren den Zeitablauf und variieren den Bildgrund. Das Sujet aber sind die Menschen, die in der heißen Quelle baden. Die Fotografin hat sie frontal aufgenommen, sie stecken bis an die Schultern im Wasser. Wie alte Büsten etwa.

Mette Tronvoll hat 1998 und 1999 die Sommermonate auf Grönland verbracht. Mit einem Zelt ausgerüstet fuhr sie zu den Inseln Isortoq und Unartoq, wo der Reiseführer warme Quellen verzeichnete, und fotografierte die Ausflügler, die am Wochenende dorthin zogen. So ist die Serie „Isortoq Unartoq“ entstanden: Porträts von badenden Inuit, wie sich die Bewohner Grönlands nennen, die Landschaft, die sie umgibt, und dazu Porträts von zwei norwegischen Freunden Tronvolls. Bei allen scheint sich die Umgebung so auszuwirken, dass sie darin völlig aufgehen.

Während die norwegische Fotografin in ihren früheren, in einem New Yorker Studio entstandenen Fotoserien die Umwelt durch einen monochromen Hintergrund ausgeschaltet hatte, um die ethnischen Unterschiede, individuellen Züge und Selbstdarstellungsstrategien der Porträtierten hervorscheinen zu lassen, hat sie für ihre jüngsten Arbeiten eine Kulisse ausgewählt, die zwar stetig, aber nicht neutral ist. Badet eine Gruppe älterer Inuit in einer dampfenden Quelle, wirken ihre weißlich verschwommenen Silhouetten unter Wasser, ihre seitlichen Blicke und das schmale Grinsen wie Ausfransungen der atmosphärischen Trübnis. In einem anderen Bild streifen die Sonnenstrahlen flackernd die Wangen von drei lachenden Jungen. Vor ihnen kräuselt sich die Oberfläche des Tümpels, dahinter leuchten die Wiesenblüten. Naturfarben und Naturtöne umschwirren die Menschen so, dass für einen Augenblick ein verlorenes Paradies aufblitzt. Mette Tronvoll spricht von einem verborgenen Paradies, das es bloß zu entdecken gilt.

Aller Unmittelbarkeit zum Trotz sind ihre Fotos aus Isortoq und Unartoq keine Schnappschüsse. Man sieht, dass die Menschen Pose gestanden haben und stets zu drei Viertel im Wasser eingetaucht geradeaus in die Kamera blicken. Aber gerade vor diesen „vorbereiteten Aufnahmen“ stellt sich das Gefühl ein, einer entrückten Daseinsform beizuwohnen. Die in die Ferne schweifenden Blicke, die klassische Haltung der Modelle und der malerische, mitunter freskenhafte Anschein der Fotografien tragen dazu bei. Da sich aber Tronvoll dem ironisch-koketten Spiel mit den Verweisen entzieht und mit allem Ernst ihre Motive angeht, kommt das Resultat dem Erhabenen sehr nah. Am liebsten möchte man ihren Menschen den Schädel aufklappen, um zu schauen, woran sie denken.

Wo es keine Menschen gibt, nehmen Steine, Geröll, Wasser oder das Grün der niedrigeren Berghänge die ganze Bildfläche ein. Massive Eisblöcke schieben sich ins Meer, zerfurchtes Gestein wirft ungeheure Falten über die Ebenen. Die Natur Grönlands zeigt sich übermächtig, weitab von jeder Idylle. Am Ende der Serie reitet ein Mann mit gestrenger Miene einen Braunen über die Bergwiesen, als wäre die Szene einer Saga entlehnt. Die Kamera hat jedes Detail scharf abgelichtet, die Erscheinung ist dokumentiert: Ob es da oben im Norden noch Recken gibt?

AURELIANA SORRENTO

Bis 30. 4, Künstlerhaus Bethanien, Mariannenplatz 2, Kreuzberg

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