Quietschlebendige Peanuts

Charlie Brown wird zum Musical-Helden. Anders als die Inszenierungen des Stella-Konzerns ist das Stück eine Off-Produktion im Kleinen Theater am Südwestkorso. Am Montag war Audition

von KIRSTEN KÜPPERS

Sie sind klein und haben Depressionen. Grundschüler mit Sinnkrisen, ernst, gehässig und unentschlossen. Dass die Peanuts wegen den alltäglichen Gemeinheiten des Lebens in Verzweiflung fallen wie Forty-Somethings in der Midlife-Crisis, macht der Welt die Comicgruppe von Charles M. Schulz seit 50 Jahren sympathisch. „Ich will, dass Leute mich mögen“, klagt Charlie Brown oft. „Alle hassen mich.“

Wegen dieses netten Verlierertums lohnt sich das Merchandising mit den Peanuts. Es gibt Radiergummis, Fernsehserien und andere Zusatzprodukte von ihnen. Von Disney lernen heißt siegen lernen. Darum kommt wie bei der „Schönen und das Biest“ oder dem „Glöckner von Notre Dame“ nach dem Zeichentrick jetzt auch das Musical. Getreu dem Motto vom Stella-Käufer Peter Schwenkow: „Das Gerede vom Niedergang der Musicals ist falsch.“

Am 12. September soll „Du bist in Ordnung, Charlie Brown“ von der Toys Musicalproductions im Kleinen Theater am Südwestkorso die deutschsprachige Erstaufführung erleben. Im Gegensatz jedoch zu den effekthascherischen großen Musicals des Stella-Konzerns ist das Peanuts-Stück eine Off-Produktion. Aufgeführt auf einer kleinen Bühne, mit hundert Plätzen und einer geplanten Spielzeit von nur drei Monaten. Auch das Stück klingt nicht nach glamourösem Ausstattungsmonstrum. Erzählt wird ein gewöhnlicher Tag im Leben von Charlie Brown, zusammengebastelt aus Comicstripszenen.

Dafür fand am Montag im Stella-Theater am Potsdamer Platz das Vorsprechen, -singen und -tanzen statt. Knapp 200 Leute hatten sich im Vorfeld als Charlie Brown, Sally, Lucy, Linus, Schröder oder Snoopy bei der Toys Musicalproductions beworben. 50 Kandidaten wurden zur Audition für die Besetzung der sechs Rollen eingeladen. Alles Erwachsene, die Kinder spielen wollen. Sogar eine Hochschwangere ist dabei. Einer hat einen Pullunder an, manche Frauen tragen Lucy-haft kurze Röckchen, eine singt ein Rotkäppchen-Lied. Die Peanuts sollen nicht größer als 1,75 Meter sein und nicht älter als 35, heißt es von der Jury. Nur Snoopy ist „eher ein Macho-Typ mit Beruf Hund“, sagt einer der Regisseure. Der Snoopy-Darsteller müsse nicht so klein sein, dafür aber Kopfstimme singen können.

Obwohl die Off-Produktion kaum Gagen zahlen kann, sind viele Musical-Profis unter den Bewerbern, darunter etliche Kollegen vom „Glöckner von Notre Dame“. Auch wenn von einer Bezahlung von nur 80 Mark pro Vorstellung die Rede ist, scheint vielen die kurze Off-Peanuts-Produktion vor allem weniger eintönig zu sein, als jahrelang jeden Tag als gut bezahlter Springer im Stella-Ensemble auf der Bühne zu stehen. Die Macher des Berliner Peanuts-Musicals, Andreas Gergen, Christian Struppeck und Gerald Michel, singen selbst noch beim „Glöckner“, dem mit 330.000 Besuchern bislang meistbesuchten Bühnenstück Berlins. Mit ihrer Toys Musicalproductions und dem Peanuts-Stück wollen Gergen, Struppeck und Michel jetzt aber ihre eigene Firma sein. Die Verträge beim „Glöckner“ laufen aus. „400 Vorstellungen reichen auch“, sagt Gerald Michel dazu. Bei „Glöckner“-Proben in New York hatten die drei vor einem Jahr das Peanuts-Musical am Times Square gesehen. Nach monatelangen Verhandlungen mit Broadway-Produzenten gelang es ihnen, die Aufführungsrechte für Charlie Brown zu erhalten.

Dass die deutsche Musical-Szene inzwischen mit dem Broadway mithalten kann, davon sind beim Peanuts-Vorsprechen die meisten überzeugt. Das Niveau der Bewerber ist hoch. „Es sind kaum richtige Ausfälle dabei“, meint Regisseur Michel. Mit der flächendeckenden Verbreitung von Stella-Musicals in ganz Deutschland sei die Ausbildung in der Szene besser geworden. „Vor fünf Jahren hatte man als Amerikanerin immer gute Chancen, hier ein Engagement zu bekommen, weil wir besser waren als die Deutschen“, sagt eine Sängerin aus den USA. „Inzwischen ist die Konkurrenz viel größer geworden.“ Dementsprechend nervös sind die meisten bei der Bewerbungsgesprächssituation. Einer singt „I’m a sensation“, eine andere „I’m going bananas“. Dabei möchte die Jury, dass ihre Peanuts nicht schön, sondern möglichst „quakig und quietschig“ singen. Eine Kandidatin scheidet aus, weil sie die Szene von Sally und der Kleiderbügelskulptur nicht zickig genug spielt.

Die Peanuts werden die Musical-Welt freilich nicht revolutionieren. Es bleibt bei den wegen Singerei und Tanzerei wie üblich hysterisch-prätentiös wirkenden Charakteren. In diesem Fall sind es eben Möchtegernkinder, denen man das Nasebohren und Zuppeln am Pullover nicht recht abnimmt. Um die Darsteller kleiner wirken zu lassen, will die Kostümbildnerin alle Kleider eine Nummer größer nähen, Wattierung und Drähte sorgen dafür, dass die Säume abstehen.

Vier Karten für die erste Vorstellung sind indes schon verkauft. An eine Familie aus Dresden. „Seufz“ ist auch Lieblingswort von Charlie Brown.