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Feilschen um Raketenabwehr

Bei der internationalen Abrüstungskonferenz in New York fordern die USA trotz internationaler Kritik erneut eine Überarbeitung des ABM-Vertrages. Dadurch werden die bereits angespannten Beziehungen zu Moskau weiter belastet

von PETER TAUTFEST

In New York trifft sich diese Woche unter der Schirmherrschaft der UNO eine internationale Konferenz zur Überprüfung des Atomwaffen-Sperrvertrags (NPT). Der Vertrag, der vor 30 Jahren unterzeichnet wurde, untersagt die Weitergabe von Atombomben-Know-how und sollte dafür sorgen, dass nicht jede Mittelmacht bald über Atomwaffen verfügt. Die kleineren und mittleren Mächte willigten in dieses weltweite Abkommen ein, weil die Supermächte zugesagt hatten, im Gegenzug die Atomwaffen zu reduzieren und langfristig abzuschaffen. Vertreter aus 187 Staaten wollen jetzt die bisherigen Auswirkungen des NPT untersuchen und eine Bilanz der Rüstungssituation ziehen.

Doch nun ist um Rakten und Bomben neuer Streit entbrannt. Die USA stehen auf dieser Konferenz einsam da und sehen sich „einer Wand von Opposition gegenüber“, wie die New York Times anmerkte. Russland hingegen glänzt wie ein Musterschüler, der seine Hausaufgaben gemacht hat. Hat doch die Duma letzte Woche den Start-II-Vertrag zur Reduktion der strategischen Waffen – sprich zur Verschrottung von atomaren Sprengkörpern – endlich ratifiziert.

In den USA hingegen hat sich im vergangenen Jahr der Senat geweigert, das Atomteststop-Abkommen (CTBT) zu ratifizieren. Sorgte bereits das für heftige Kritik, wird jetzt der ABM-Vertrag, an dessen Überarbeitung die Regierung Clinton unter dem Druck der Opposition werkelt, zum Stein des Anstoßes.

Der Vertrag, der 1972 zwischen Russland und den USA abgeschlossen wurde, regelt den Aufbau von Abwehrsystemen gegen Angriffe von Atomraketen. Er war ein Eckstein aller Abrüstungsbemühungen, weil die strategische Sicherheit am besten gewährleistet zu sein schien, wenn alle Seiten weiter vor Atomraketen Angst haben würden und sich keine Seite unter einem Raketenabwehrschild sicher fühlen könnte. Vor drei Jahren legte eine US-Untersuchungskommission einen Bericht vor, der eine ganz neue Gefahr ausmachte: die Entwicklung von Interkontinentalraketen durch Staaten wie Korea, Iran, Irak und Libyen.

Dagegen wollen die USA jetzt einen begrenzten Schutzschild aufstellen. Auch US-Außenministerin Madeleine Albright verwies am Montag erneut auf „neue Gefahren, die von Staaten außerhalb des Systems der strategischen atomaren Abschreckung“ ausgingen. Washington habe zwar nicht vor, das ABM-Abkommen zu sabotieren. Es müsse jedoch möglich sein, die fast drei Jahrzehnte alten Regelungen zu modifizieren, sagte Albright.

Somit ist die Frage der Raketenabwehr zum Zankapfel im amerikanischen Wahlkampf und in den russisch-amerikanischen Beziehungen geworden. Russland will bei weiteren Abrüstungsverhandlungen nicht mitspielen, China sein Raketenprogramm ausweiten, wenn die USA eine Raketenabwehr aufstellen.

Bisher scheiterten in den USA alle Tests von Raketenabwehrsystemen – und der einsame Teilerfolg letzten Herbst erwies sich als gezinkter Versuch. Mehrere Expertenberichte, zuletzt einer von MIT-Wissenschaftlern, erklären die technische Unmöglichkeit eines Raketenabwehrprogramms.

Warum Russland sich bei ABM auf die Hinterbeine stellt, ist auch unerfindlich. Amerikas Raketenschutzschild soll dafür ausgelegt werden, höchstens ein halbes Dutzend koreanische Raketen, nicht Russlands Geschosshagel aufzuhalten. Auch verfügt Russland nicht über die finanziellen Mittel, seinen Waffenpark am Verrosten zu hindern, geschweige denn das Geld, mit den Amerikanern bei einer neuen Runde des Wettrüstens mitzuhalten.

Am Ende ringen die ehemalige und die übriggebliebene Supermacht um Chimären, während die wirkliche Gefahr von der Erblast der Atomrüstung ausgeht, von der Verseuchung ganzer Landstriche durch den Atombombenbau, Geheimnisdiebstahl durch Terroristen oder ein versehentliches Zünden einer russischen Atomrakete.

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