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DGBler im Visier der Rechten

Polizei nimmt Drohungen sehr ernst und ordnet Personenschutz an. Hamburger Verfassungsschutz-Chef warnt vor „anpolitisierten Skin-Gruppen“

HAMBURG taz ■ Gewerkschafter geraten immer mehr ins Visier des militanten Neonazi-Netzwerkes der „Freien Kameradschaften“ und „Freien Nationalisten“. Nach Hausdurchsuchungen in Göttingen und Northeim zum Jahresende, bei denen Bauanleitungen für Briefbomben gefunden wurden, warnte der Staatsschutz den Göttinger DGB-Vorsitzenden Sebastian Wertmüller „vorsorglich“ vor Briefbombenanschlägen. Unverhohlen schrieben Neonazis voriges Wochenende über ein Transparent an der Autobahn 23 zwischen Hamburg und Heide ein Kopfgeld von „10.000 Mark – tot oder lebendig“ – für den Elmshorner IG Metall-Chef Uwe Zabel aus Schleswig-Holstein aus. Seit kurzem stehen auch Hamburg-Bergedorfs DGB-Kartellvorsitzender Dieter Born und der DGB-Bildungsjugendsekretär Sirko Matz aus Gera (Thüringen) mit vier Fotos auf Internet-„Anti-Antifa“-Seiten zur Fahndung aus. Alle haben eines gemeinsam: Sie haben sich im Rahmen ihrer Gewerkschaftsarbeit an der Organisation konkreter Aktionen gegen Neonazis beteiligt: Wertmüller als Veranstalter von Gegendemos, Zabel als Mitorganisator des „Bündnis gegen Neonazis“, Born war Verantwortlicher einer Protestveranstaltung, und Matz bereitete eine Antifa-Demo in Saalfeld mit vor. Bislang wurden „Anti-Antifa“-Listen mit Namen, Adressen und Bildern in Magazinen veröffentlicht – inzwischen nutzen Neonazis vor allem das Internet. Über „Anti-Antifa“-Pages verschicken sie Adressen aus dem gesamten Bundesgebiet und rufen die „Kameraden vor Ort“ dazu auf, die „Linken“ zu „besuchen“. Auf ihre Homepages – „Heimatseiten“ genannt – stellen die Betreiber auch eigene „Anti-Antifa“-Seiten. Unter der Homepage der „Freien Nationalisten“ stellt aktuell die „Kameradschaft Gera“ mehrere „Feinde des nationalen Widerstands“ vor. Per „Links“ ist das „Aktionsbüro Norddeutschland“ der „Freien Nationalisten“ im virtuellen Netz verbunden.

Bei Polizei, Staatsschutz und Gewerkschaften werden die Drohungen sehr ernst genommen. Für Zabel ist in der vorigen Woche durch das Kieler Landeskriminalamt Personenschutz angeordnet worden. Die IG-Metall-Zentrale gewährt Zabel zudem Schutz durch Bodyguards bei öffentlichen Auftritten. Dabei haben die Gewerkschaften weniger davor Angst, dass militante Neonazis in Begleitung ihrer Anführer Gewaltakte ausüben könnten. Sie befürchten eher, dass selbst ernannte Rächer zuschlagen könnten – wie der Neonazi Diesner, der in Brandenburg einen Polizisten erschoss. So haben sich die militanten Rechten um das „Aktionsbüro Norddeutschland“ – es wird von den Hamburger Neonaziführern und Ex-Cefs der verbotenen Nationalen Liste, Christian Worch und Thomas Wulff, geführt – zwar offiziell von dem Kopfgeld gegen Zabel distanziert. Aber auch sie räumen ein, dass die Morddrohungen aus ihrer „Szene stammen könnten“. Deshalb geht auch Hamburgs Verfassungsschutzchef Reinhard Wagner davon aus, dass Worch und Wulff zwar immer noch „Kristallisationsfiguren“ seien, es aber mittlerweile „anpolitisierte Skin-Gruppen“ gebe, die „unkontrolliert, aber koordiniert mit dem Aktionsbüro agieren“.

PETER MÜLLER/ANDREAS SPEIT

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