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„Polizei vor Werthebach schützen“

Der innenpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Dieter Wiefelspütz, kritisiert den Innensenator

taz: Die Berliner Polizei hat die für den 1. Mai in Hellersdorf angemeldeten zwei Demonstrationen von NPD und Antifaschistischen Gruppen verboten. Die Begründung: Man könne die Rechten „nicht hinreichend“ vor gewalttätigen Übergriffen der Linken schützen. Und das, obwohl die Hauptstadtpolizei am 1. Mai mit 6.000 Beamten im Einsatz sein wird.

Dieter Wiefelspütz: Das ist ein unglaublicher Skandal. Dies ist die Bankrotterklärung der Berliner Sicherheitsbehörden. Dafür ist Innensenator Werthebach verantwortlich.

NPD und Linke haben gegen das Verbot bereits Rechtsmittel beim Verwaltungsgericht eingelegt. Glauben Sie, dass der Innensenator mit seiner Begründung vor Gericht durchkommt?

Ich wünsche ihm viel Vergnügen mit den Berliner Verwaltungsgerichten. Das sind realistische Leute, die sehr genau hinschauen. Es dürfte außerordentlich schwer sein, den Nachweis zu erbringen, dass in der Hauptstadt am 1. Mai ein polizeilicher Notstand vorliegt.

Geht es Werthebach wirklich um einen sicheren 1. Mai?

Ich habe zunehmend den Eindruck, dass Herr Werthebach die Demonstrationsszene in Berlin für seine eigenen Zwecke instrumentalisiert. Entweder er will das Versammlungsrecht demontieren, das ein sehr tolerantes, demokratieorientiertes Recht ist. Oder er versucht Stimmung gegen Minderheiten zu machen. In jedem Falle treibt er politische Spielchen, statt die innere Sicherheit in der Hauptstadt seriös und sachlich zu gewährleisten.

Die Begründung, die Polizei könne die NPDler nicht schützen, ist also nur vorgeschoben?

Ich halte das für ein sehr durchsichtiges Manöver. Es ist nicht der erste Fall in Werthebachs Berliner Amtszeit. Er versucht auf diese Weise, Stimmung für eine rechtskonservative Politik zu machen. Es gibt keinen Grund, extremistische oder gewalttätige Demonstrationen zu verharmlosen. Aber am 1. Mai 2000 werden die allermeisten Menschen in Berlin friedlich demonstrieren. Im vergangenen Jahr hat es 2.440 Demonstrationen und Versammlungen in der Hauptstadt gegeben, nur 10 davon waren unfriedlich. Herr Werthebach ist der einzige Innenminister in Deutschland, der Probleme mit dem Versammlungsrecht hat.

Der Regierende Bürgermeister Diepgen wirft Ihnen vor, Sie würden mit Ihrer Kritik an den Berliner Sicherheitsbehörden den Extremisten das Wort reden und Öl ins Feuer gießen. Außerdem sollten Sie sich nicht in Länderangelegenheiten einmischen.

Ich bin weit davon entfernt, mich in Länderangelegenheiten einzumischen. Der Berliner Senat in Gestalt der Herren Diepgen und Werthebach verlangt seit Monaten Änderungen von Bundesgesetzen. Bundesgesetzgeber sind wir Abgeordneten im Bundestag, und es ist unser Recht und unsere Pflicht, uns dazu zu äußern. Ich werde ausgesprochen zornig, wenn man das als eine Einmischung in die inneren Angelegenheiten von Berlin empfindet. Der Berliner Senat in Gestalt von Herrn Diepgen und Herrn Werthebach fordert von uns eine Änderung des Versammlungs- und Bannmeilengesetzes. Und dazu sage ich klar und deutlich Nein.

Glauben Sie, dass die Berliner Polizei unter einer anderen politischen Führung nicht so oft Anlass zu Kritik geben würde?

Ich bin der Meinung, dass die Berliner Polizisten vor ihrer politischen Führung in Schutz genommen werden müssen. Der normale Berliner Polizeibeamte macht seine Arbeit bestimmt sehr ordentlich. Er kann nichts dafür, einen Innensenator als Vorgesetzten zu haben, der seiner Aufgabe nicht gewachsen ist.

Interview: PLUTONIA PLARRE

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