: Werden wir Europameister?
NEIN ■ Teamchef ERICH RIBBECK glaubt nicht an eine Titelverteidigung: Die Situation ist alles andere als glücklich und optimal. Die Situation ist nicht einfach und nicht förderlich. Ich kann im Moment überhaupt nichts tun.
Das Schweiz-Spiel war für mich eine wichtige Standortbestimmung, um das Leistungsvermögen einiger Spieler zu überprüfen. Es war bedauerlich, dass nichts Kreatives kam, dass wir spielerisch nicht das gebracht haben, was ich mir vorgestellt habe. Wir sind dem Rückstand nachgerannt, mehr oder weniger ungeordnet, nicht kreativ. Sondern wir haben mit vielen langen Bällen nach vorn gespielt, die zum großen Teil nicht ankamen. Wir haben zu viele Bälle blind nach vorn gespielt. Es kam kein Spielfluss zustande. Das war irgendwie so ein Hauruck-Fußball.
Ich kann es mir nicht erlauben, mich so populistisch zu verhalten wie andere. Ich bin gezwungen, Kompromisse zu schließen. Wir können warten, bis der 26. Mai anbricht, da ist das Matthäus-Abschiedsspiel. Ich hoffe, dass die Spieler, die gebraucht werden, bis dahin gesund bleiben und körperlich in einigermaßen vernünftigem Zustand sind.
Man hat gesehen, wie schnell es gehen kann, dass Stammspieler sich verletzen. Bei Mehmet Scholl war es ein Unfall. Bei Nowotny war es eine Wadenprellung aus dem Bremen-Spiel. Christian Ziege hatte Adduktoren-Probleme. Bei den Bayern-Spielern könnte man sicher auf die Idee kommen, dass sie besonders strapaziert sind durch Mehrfachbelastung. Aber es ist ja schwierig, die alle wegzulassen. Man versucht ja als Trainer, ein Gerippe aufzubauen.
Das war kein Fortschritt gegenüber dem Kroatien-Spiel. Da waren wir noch Außenseiter (Kroatien ist nicht für die EM qualifiziert, d. Red.). Das war kein Spiel, das die Zuschauer auf unsere Seite gebracht hat; wenn ich dieses Publikum mal als deutsche Zuschauer bezeichnen darf. Es war schon Hohn da. Wir dürfen aber nie den Fehler machen, die Fans zu unterschätzen. Ich glaube, dass die Leute – gerade auch die im Stadion – ein Gespür dafür haben, was ehrlich ist und was nicht.
Es hat sich so ganz günstig ergeben, dass Lehmann spielt. Wenn sie sich vorstellen, jetzt würde Butt spielen, da brauche ich Lehmann gar nicht mitzunehmen zur EM, da kann ich ihn gleich zu Hause lassen. Lehmann kann über die Nationalmannschaft seine Leistungen stabilisieren, um seinen Fehler nicht nur wettzumachen. Es ist gut, dass er jetzt hier ist in einem anderen Kreis, dass ich mit ihm sprechen kann. Sein Fehler war natürlich tödlich. Man hat gesehen, dass ihm die einfachsten Dinge misslungen sind, die er eigentlich blind beherrscht. Aber ich werde nicht auf Lehmann einprügeln.
Ich habe vorher schon gesagt, dass sich der Kreis der 22 EM-Spieler nicht aus diesen 21 gegen die Schweiz rekrutiert. Der Kandidatenkreis kann auch 29 Namen umfassen. Wir brauchen bei der EM Spieler, die nervenstark sind. Aber wenn Spieler mit dem Druck nicht fertig werden ...
Jetzt muss man sehen, kriegt man die Spieler noch hin, oder kriegt man sie nicht hin. Sonst muss man vielleicht erfahrene Spieler nehmen, die diese internationale Belastung schon erlebt haben. Es gab ja auch positive Ansätze. Lothar Matthäus war Vorbild dafür, dass er sich reingeknallt hat, auch wenn es sicher keine berauschende Leistung war.
Vorher hat man uns in eine Situation gebracht, in der alles andere als ein zweistelliger Sieg eine Enttäuschung wäre. Ich weiß nicht, in welcher Verfassung die Spieler sind. Jeder von uns muss bei allem, was er sagt, daran denken, dass man den gemeinsamen Erfolg nicht gefährdet. Welches System wir spielen, hängt von der Verfassung einzelner Spieler und möglicherweise auch vom Gegner ab.
Es fehlt eine gewisse Konstanz. Aufarbeitung ist nötig. Es gibt polemische Ausfälle und Poltereien, die ich nicht nachvollziehen kann. Uli Hoeneß (der Bayern-Manager), muss sich fragen, ob man Menschen verletzen darf.
Ich sage immer, wir hängen alle irgendwo an der Strippe. Es gibt Entscheidungen, die fallen eine Etage höher. Meine Grenzen kenne ich auch. Manchmal denke ich, ich hätte während des Studiums in eine schlagende Verbindung gehen sollen, um mir das Gesicht ein bisschen entstellen zu lassen – vielleicht würde ich dann eher als Fachmann anerkannt.
Ich habe das Gefühl, dass es modern geworden ist, auf die Nationalmannschaft einzuprügeln. Ich kann mich nur bedingt hinter einen Spieler stellen, um ihm das Gefühl zu geben, dass ich ihm glaube. Da wäre die Hilfe von allen Deutschen nötig.
Zitat:Erich Ribbeck ist verzagtIch kann jetzt überhaupt nichts tun. Ich versuche, ein Gerippe aufzubauen. Aber ich kenne meine Grenzen.
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