: Zeichen der Zeit
■ Notizen vom 4. Klezmer Festival im Vegesacker KITO
Schon merkwürdig. Ein Buch war es, welches das Konzept dieses Musikfestivals festzulegen schien. Denn die beiden Namen auf dessen Buchdeckeln funktionierten gleichzeitig als Anfangs- und Endpunkt: Rita Ottens, Musiksoziologin aus Berlin, und Joel Rubin, Klarinettist und Musikethnologe. Der Titel lautet schlicht: „Klezmer-Musik“. Es gibt kaum eine andere Musik, die in den letzten Jahren immer zugleich auch Politikum war. Entsprechend schlau der Gedanke von Programmmacher Claus Hößelbarth vom KITO, der die vierte Auflage des Klezmer Festivals in seinem Vegesacker Haus gleich in Richtung der Musik-Kontext-Verhältnisse konzipierte. „Dürfen Deutsche Klezmer spielen?“ hieß provokant der Vortrag, mit dem Ottens die Veranstaltungsreihe einleitete.
Immer wenn es um Deutschland geht, argumentiert Ottens prägnant. Sie hinterfragt die hiesige Rezep-tion des mittlerweile auch schon zwei Jahrzehnte dauernden so genannten Klezmer-Revivals in den USA. Ein Klezmer-Konzert ist für sie immer ein politischer Akt in dem Sinne, dass die Musik stets in einen historischen Rahmen eingepasst wird. In Deutschland fungiert es als Baustein der bekannten Verleugnungs- und Normalisierungs-strategien der 'Berliner Republik', als „ideologischer Arbeiter“.
Diese Kritik war, wie gesagt, mehr als fällig. Doch lohnt es sich, einen Blick darauf zu werfen, von welchem Standpunkt aus Ottens und auch Rubin argumentieren. Beide vertreten einen musikhistorischen Ansatz, mit dem Ziel, eine Geschichte der Klezmer-Musik in ihrem religiösen und sozialen Entstehungskontext zu erstellen. „Erfunden“ wurde diese Musik in den 20er Jahren aufgrund einer Begeis-terung für das „Ostjudentum“. Diese Linie wurde in der zweiten und dritten Generation Post-Shoah-Deutschlands wieder aufgenommen. Und zwar dankbar, denn wie könnte man besser Schuld und Verantwortung abstreifen als durch den Konsum dieser vermeintlich jüdischen, stets als Amalgam aus Fröhlichkeit und Trauer apostrophierten Musik. Es ist die musikalische Dimension philosemitischer Shtetl-Romantik.
Ottens und Rubin dagegen verstehen Klezmer als funktionale Musik, die nicht ohne ihren spirituellen und rituellen religiösen Kontext, also Musik für Hochzeiten oder andere Feiertage, gelesen werden dürfe. Das machte auch das Programm „Beregovskis Khasesne“ deutlich, mit dem Rubin und der italienische Akkordeonist die Konzertreihe beschlossen. Bis auf einige Tisch-Nigunim, gewissermaßen das religiös-jüdische Äquivalent zu den säkular-romantischen „Liedern ohne Worte“ in der klassischen Musik, präsentierte das hochvirtuos agierende Duo Hochzeitsmusik aus der Sammlung des russischen Musikethnologen Moyshe Beregovski. Tolle Musik, gewiss, doch war der Abend mit Rubins Erklärungen auch eine Art Einführung in diesen Teil der europäischen Musiktradition.
So weit, so gut. Doch das Gesamtprogramm bot einiges an Sprengstoff. Mit dem Trio „Kroke“ aus Krakau spielte einen Tag nach Ottens Vortrag genau jene Band, die in der Einleitung von „Klezmer-Musik“ mit folgenden Worten kritisiert wird: „...eine ebenfalls nichtjüdische Klezmer-Band aus Krakau wirbt gar mit kabbalistischer Symbolik auf dem Cover für ihren Anspruch, ,etwas Neues und in der jüdischen Musik Einzigartiges zu schaffen.'“ Ein Satz, der den Berliner Vertrieb von „Kroke“ zur polemischen Frage veranlasste, ob die polnisch-jüdischen Musiker tatsächlich einen Nicht-Arier-Nachweis beibringen müssten.
Dass das Problem noch etwas anders gelagert ist, zeigte das Konzert selbst. Denn die Herangehensweise von „Kroke“ ist, wenn auch weniger konzeptualistisch, nicht weit entfernt von dem, was sich im Umfeld der New Yorker Knitting Factory, vor allem auf John Zorns Tzadik-Label tut. Mit einem bewusst vagen Rückgriff auf die amerikanische Klezmer Tradition, wird hier versucht, ein linkskulurell-kritisches Identitäts-Programm durchzuziehen, das in Fragen wie „Was ist jüdische Musik?“ oder „Gibt es jüdisches Selbstverständnis jenseits von Zionismus und Religion?“ gipfelt. Referenzpunkte sind die Shoah und die Musik des 20. Jahrhunderts.
Doch gerade diese Bands (Klezmatics, Coleman, Krakauer) vermag das Konzept von Ottens und Rubin nicht zu fassen. Nicht zufällig war im Musikprogramm der umstrittenen Berliner Ausstellung „Jüdische Lebenswelten“ Anfang der 90er, für das beide verantwortlich zeichneten, niemand aus diesem Umfeld vertreten. Genauso wenig wie „Kroke“. War der erste Set des Geige-Bass-Akkordeon-Trios eher traditionalistisch geprägt, bewiesen sie nach der Pause, was sie unter „etwas Neuem“ verstehen. Nämlich die Verbindung des Klezmerrepertoires mit Elementen des Jazz und der freien Improvisation. Etwa wenn das Akkordeon von Jerzy Bawol mit einem minutenlangen Dronesound Tomasz Latos leise, freie Bass-Exerzitien unterlegt. Geschickt lassen die drei ihre Melodielinien von einem Instrument zum nächsten wandern, brechen sie mal schräg, mal minimalistisch, bis vom 'Klezmer' kaum mehr als ein Zitat stehen bleibt.
Die direkte Gegenüberstellung erwies sich als Glücksgriff. Unterschiedliche musikalische Ansätze, die eben auch die verschiedenen Debatten zu integrieren vermochten. Schade, dass es diesmal nicht gelungen ist, auch eine Band wie das „New Klezmer Trio“ zu holen. Dann wär' der Spaß perfekt.
Bleibt nur noch zu sagen, dass (fast erwartbar) das Berliner „Trio Kali Gari“ musikalisch sehr hinter den beiden anderen Formationen zurückblieb. Ein rührend-rührseliges Unternehmen in der Tradition der 70er-Jahre-Liedermacher. Wer's mag... Anyway, der gute Besuch der Veranstaltungen ist verdienter Lohn für ein konfontatives Programm, bei dem es viel gute Musik zu hören gab. Diesmal mit sehr viel Akkordeon!
Tim Schomacker
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