: Künftig mehr Zeit für Richter
Trotz heftiger Kritik will Bundesministerin Herta Däubler-Gmelin die Justizreform noch in der laufenden Legislaturperiode abschließen. Fragen des Zivilprozessrechts sind diskutiert. Das Strafprozessrecht steht noch aus. Eine Zwischenbilanz
von CHRISTIAN RATH
Bundesjustizministerin Herta Däubler-Gmelin (SPD) kämpft. Obwohl Richter und Anwälte viel Kritik an der geplanten Justizreform üben, will sie ihr ehrgeiziges Vorhaben auf jeden Fall noch vor der Bundestagswahl im Jahr 2002 zu Ende bringen. Bis Ostern konnten Länder und Verbände zu Däubler-Gmelins Referentenentwurf Stellung nehmen – Zeit für eine erste Bilanz.
Im jetzigen Reformstadium geht es nur um Zivilprozesse, also um Streitigkeiten zwischen Privatpersonen oder Unternehmen. Prozessiert wird dabei etwa um die Höhe der Miete, eine fehlerhafte Warenlieferung oder den nachbarlichen Maschendrahtzaun. Reformvorschläge zum Strafprozess sollen erst Ende des Jahres folgen.
Generell hat Däubler-Gmelin die Devise ausgegeben, dass Prozesse in Deutschland schneller und effizienter geführt werden sollen. Erreichen will sie das vor allem durch eine Stärkung der ersten Instanz, also die Amts- und Landgerichte. Während die Richter dort heute noch Urteile am Fließband produzieren, sollen sie künftig „ausreichend Zeit haben, um den einzelnen Fall gründlich zu bearbeiten“. Eine Berufung zur zweiten Instanz, die dann einheitlich das Oberlandesgericht wäre, soll zur seltenen Ausnahme werden. Der Bundesgerichtshof schließlich soll nur noch für die Rechtseinheit in Grundsatzfragen zuständig sein.
Da für die Eingangsgerichte keine zusätzlichen Richterstellen finanziert werden können, müssen diese bei den oberen Instanzen eingespart werden. Hierzu hat sich Däubler-Gmelin vor allem drei Mechanismen überlegt. Erstens sollen in der Berufung nur noch Rechtsfehler gerügt werden können. Bisher wurde der gesamte Prozess noch einmal aufgerollt. Zweitens sollen Berufungen, die weder „hinreichende Aussicht auf Erfolg“ bieten noch „grundsätzlicher Fragen“ aufwerfen, in einem vereinfachten Verfahren abgelehnt werden können. Und drittens will Däubler-Gmelin weitgehend Einzelrichter statt Kammern einsetzen.
Wie zu erwarten war, hat die bürgernahe Stärkung der Eingangsinstanz weithin Beifall gefunden. Es besteht lediglich Skepsis, ob eingesparte Richterstellen tatsächlich nach unten durchgereicht oder nicht eher wegfallen werden. Fraglich ist dagegen vor allem, inwieweit es in den oberen Instanzen überhaupt zu Einspareffekten kommen kann. Denn alle diesbezüglichen Reformvorschläge sind heftig umstritten.
So ist der Deutsche Richterbund gegen den zwingenden Einsatz von Einzelrichtern. Hier stehe „Qualität und Akzeptanz“ der Rechtsprechung auf dem Spiel. Untersuchungen zufolge sind die Bürger mit Einzelrichtern aber durchaus zufrieden und legen seltener Berufung ein als gegen Kammerentscheidungen.
Die Grünen kritisieren vor allem, dass Berufungen künftig in einem Schnellverfahren abgelehnt werden können. „Das geht deutlich zu weit und ist auch nicht im Koalitionsvertrag vorgesehen“, kritisiert ihr rechtspolitischer Sprecher Volker Beck. Selbst in Däubler-Gmelins eigener Partei regt sich Kritik. Die Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Juristen (ASJ) forderte jüngst, dass in der Berufung auch Fehler der Beweiswürdigung gerügt werden dürfen. „Schließlich streiten die Parteien meist weniger über Rechtsfragen als vielmehr über Tatsachen, etwa ob eine Reparatur sachgerecht ausgeführt wurde“, heißt es zur Begründung.
Während Richter, Grüne und ASJ die Reform im Prinzip befürworten, üben sich die Anwälte in Fundamentalkritik. Sie halten die Pläne der Ministerin schlicht für überflüssig. Auch Bayern und Baden-Württemberg lehnen die Reformpläne rundweg ab. Die deutsche Justiz sei heute schon „verblüffend effizient“, sagt etwa der Stuttgarter Justizminister Ulrich Goll (FDP). Nur viereinhalb Monate brauche ein Amtsgericht im Schnitt für ein Zivilurteil, sechseinhalb Monate ein Landgericht.
Die Justizministerin hält das Engagement der Anwälte allerdings für reichlich eigennützig. Hier gehe es weniger um den Schutz von Bürgerrechten, als um den „eigenen Geldbeutel“, stichelt sie.
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