: Normalerweise guckt keiner
Der Arbeitslose: Der 51-jährige Werner Bernsdorf will sich nicht verstecken
Stand der IG-Metall-Gruppe Arbeitslosigkeit, DGB-Kundgebung, Berlin
Ich bin hier, weil der 1. Mai der einzige Tag ist, an dem wir mal öffentlich kundtun können, dass wir arbeitslos sind. Normalerweise interessiert das kaum jemand. Wir treffen uns alle zwei Wochen in der IG-Metall-Gruppe Arbeitslosigkeit und planen Aktionen, aber meistens nimmt das niemand richtig wahr. Neulich haben wir eine Demo gemacht, aber dann war da gerade die Entführung auf den Philippinen, und von den Zeitungen hat sich kein Mensch für uns interessiert.
Hier bin ich seit acht Uhr morgens an unserem Stand, nachher spiele ich bei einem kleinen Sketch mit. Ein Kollege spielt einen Arbeitgeber, der mit Argumenten kommt wie „Ihr Arbeitslosen seid doch alle faul“, und ich werde dagegenhalten. Was ich genau sagen werde, kann ich aber noch nicht verraten, es soll ja eine Überraschung bleiben.
Ich bin jetzt seit fünf Jahren arbeitslos, vorher habe ich 27 Jahre als Elektroniktechniker gearbeitet, dann hat die Firma zugemacht. Meine alten Kollegen treffe ich immer noch einmal im Monat zum Skat. Viele haben schon aufgegeben, die machen gar nix mehr, auch heute am 1. Mai nicht. Da ist schon Resignation da, manche warten nur noch auf ihre Rente. Aber warum soll ich zu Hause bleiben und aus dem Fenster gucken? Da fühlt man sich wie in einem ewigen Wartezimmer. Jetzt habe ich eine Umschulung gemacht – und nächste Woche habe ich ein Vorstellungsgespräch. Protokoll: LUKAS WALLRAFF
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen