piwik no script img

Sport spricht alle Sprachen

■ Das Projekt „Sport mit AussiedlerInnen“ vom Landessportbund feiert sein zehnjähriges Bestehen / Wichtige Integrationsarbeit wurde inzwischen geleistet

Wie die Ameisen auf einer Ameisenstraße klettern zehn quirlige Kinder hintereinander über Käs- ten und waagerecht gelegte Sprossenleitern. An dicken Tauen schwingen sie sich wie Tarzan im Urwald in der Turnhalle von Bank zu Bank. Mit freudigem Gekreische landen sie auf blauen Sportmatten. Die Vier- bis Sechsjährigen sind beim Kinderturnen des Turn- und Sportvereins (TuS) Vahr.

Auf den ersten Blick erscheint das Getummel der erhitzten Knirpse wie ganz normales Kinderturnen. Das ist es für die kleinen SportlerInnen auch mit Sicherheit. Doch das Besondere an ihrer Gruppe: Hier schwingen und klettern sowohl deutsche wie ausländische Kinder. Auch das mag in einem Stadtteil mit hohem AusländerInnenanteil wie die Neue Vahr nichts besonderes sein. Aber: Die Gruppe unter der Leitung von Sportlehrer Ryszard Witka gehört zum Projekt „Sport mit AussiedlerInnen“ des Landessportbundes Bremen.

„Durch Sport versuchen wir bei der Integration in Deutschland behilflich zu sein“, erklärt Projektkoordinatorin Sofia Busch das Ziel. Bisher scheint das Konzept aufzugehen: „Sport mit AussiedlerInnen“ feiert dieses Jahr sein zehnjähriges Jubiläum. 1989 startete der Deutsche Sportbund das Modellprojekt in vier Bundesländern – finanziert vom Bundesinnenministerium. Mit Erfolg: Ein Jahr später zogen die anderen Länder nach – auch Bremen.

Grund für das Vorhaben des Deutschen Sportbundes waren die Immigranten. „Nach dem Mauerfall gab es eine richtig große Welle an Übersiedlern aus der DDR und Aussiedlern aus Polen“, erklärt Sofia Busch. „Rund 300.000 im Jahr kamen nach Deutschland, davon 3.000 nach Bremen. Darauf war die Stadt nicht vorbereitet, Verpflegung und Unterkunft waren katastrophal.“ Die Familien aus dem zusammengebrochenen Ostblock, vor allem aus Polen, Russland und Rumänien, wurden in Turnhallen untergebracht. Doch gegen die Besetzung ihrer Trainingsmöglichkeiten protestierten die Sportvereine. Um die Situation zu entspannen, „ergriff der Sportbund die Initiative, durch Sport die Integration zu erleichtern“, sagt Busch.

Doch was sich in der Theorie so einfach anhört, stellt sich in der Praxis als schwieriger heraus. „Für Sport sind viele nicht zu begeis- tern“, weiß Sofia Busch. Die Familien haben andere Probleme: Arbeitslosigkeit, Wohnungssuche und Sprachprobleme. Deshalb sei es besonders wichtig, sagt Busch, die Menschen persönlich anzusprechen und zum Sport zu animieren. Da der direkte Weg in die Sportvereine für viele mangels deutscher Sprachgewandtheit eine zu große Hemmschwelle bedeutet, gibt es das Sportmobil. Rund 80 mal im Jahr rückt das Fahrzeug zu Ferienprogrammen, Schulfesten, Turnieren und anderen Großveranstaltungen aus. Ausgerüstet ist das Mobil zum Beispiel mit Jonglierbällen, Skateboards und einer riesigen Gummi-Hüpfburg. So sollen erst mal die Kinder angesprochen und langsam an die Vereine gebunden werden. „Die sind leichter zum Sport zu bewegen“, weiß Busch. Um die Erwachsenen zu informieren und animieren, verteilt der LSB Handzettel auch auf Russisch und Polnisch. So soll der erste Kontakt zwischen AussiedlerInnen und Sportvereinen entstehen.

Nicht nur das Sportmobil dient zur ersten Anbandelung. Auch die so genannten Stützpunktvereine des LSB – zehn in Bremen und drei in Bremerhaven – kümmern sich in besonderem Maße um AussiedlerInnen als zukünftige Sporttreibende, wie Ryszard Witka beim TuS Vahr. Der Pole kennt die Ängste der Ausländer. Vor zehn Jahren kam er nach Deutschland und arbeitet seitdem als Sportlehrer. Er machte sich viele Gedanken, wie er mit seinem gebrochenen Deutsch zurechtkommen werde. „Ich bin das lebende Beispiel, dass man trotz schwieriger Sprache einiges erreichen kann“, meint Witka. Wenn er eine Übung nicht erklären konnte, machte er sie einfach vor. „Die sprachlichen Probleme sind im Hintergrund. Vorne steht der Sport. Ich bin schließlich zum Sportmachen da, nicht zum Reden“, meint er lachend und klettert vor den Kindern die Sprossenleiter entlang.

Tina Bauer

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen