: Afrikaner in Berlin
Nicht erst seit dem Untergang des „Dritten Reichs“ und der amerikanischen Besatzung leben Menschen mit schwarzer Hautfarbe in Berlin. Schon vor mehr als dreihundert Jahren kamen die ersten – und wurden als exotische Halbwilde bestaunt. An ihre Präsenz haben sich die Deutschen noch immer nicht gewöhnt
von URSULA TRÜPER
1681 hatte ein Hamburger Kaufmann eine zündende Idee. Um dem Arbeitskräftemangel in Brandenburg abzuhelfen, so schlug er vor, solle man „eine große Menge Afrikaner ins land bringen, daß land damit zu bawen und zugleich alß eine Armee, die alßdann gar nichts kosten werde, zu defension des landes zu gebrauchen“. Zu dieser Zeit versuchte der Große Kurfürst, im Gebiet des heutigen Ghana eine brandenburgische Kolonie zu gründen, um ins internationale Sklaven- und Goldgeschäft einzusteigen.
Aus dem Plan, mit Hilfe afrikanischer Sklaven ein brandenburgisches Wirtschaftswunder aufzubauen, wurde dann doch nichts. Übrig blieb die Idee, Afrikaner in der Armee einzusetzen. Als Preußen bald darauf seine Kolonie an die Holländer verkaufte, enthielt der Verkaufsvertrag auch die Klausel, dass zwölf junge afrikanische Männer nach Berlin zu liefern seien. Gesund und kräftig sollten sie sein und goldene Ketten um den Hals tragen. Sie wurden als Musiker ins Heer eingegliedert.
Die Mode, schwarze Militärmusiker zu beschäftigen, hielt sich in Preußen bis zum Ende der Monarchie. Der bekannteste schwarze Militärmusiker war der 1867 in Berlin geborene Gustav Sabac Lel Cher. Sein Vater war ein „Nubier“, den ein Bruder von Kaiser Wilhelm I. von einer Orientreise nach Berlin mitgebracht hatte. Als junger Mann besuchte Lel Cher die Musikhochschule in Charlottenburg, komponierte mehrere Musikstücke und brachte es schließlich bis zum Kapellmeister beim 1. Ostpreußischen Grenadierregiment. Er heiratete die Tochter eines reichen Häusermaklers aus Königsberg. Später erwarb er ein Gartenlokal in Berlin, wo er 1934 starb.
Quane a Dibobe aus Kamerun war einer der afrikanischen Kontraktarbeiter, die für die Erste Deutsche Kolonieausstellung von 1896 angeheuert worden waren. Im Treptower Park hatte man eigens ein sogenanntes „Negerdorf“ aufgebaut, um den Besuchern einen Eindruck von den deutschen Kolonien zu vermitteln. Zu diesem Zweck hatten Dibobe und die anderen Afrikaner sich in exotische Kostüme zu kleiden und afrikanisches Alltagsleben zu simulieren.
Die Arbeit auf der Kolonialausstellung bedeutete, dass man sieben Monate lang von morgens bis abends angestarrt wurde und nach Feierabend mit den anderen Kontraktarbeitern in engen Baracken untergebracht war. Kein angenehmer Job, aber eine Möglichkeit, in Europa Kontakte zu knüpfen. Dibobe machte nach Beendigung der Ausstellung bei Siemens eine Schlosserlehre und wurde später der vermutlich erste schwarze U-Bahnfahrer Berlins.
Ebenfalls aus Kamerun stammte Mebenga M‘Ebono. Als Jugendlicher war er Bursche des Premier Lieutenant Curt Morgen und begleitete ihn auf seiner Expedition ins Innere Kameruns. Im Sommer 1891 nahm ihn sein Chef mit nach Deutschland. In Kladow bei Berlin wurde M‘Ebono bei einem Dorflehrer untergebracht, wo er in kürzester Zeit Lesen, Schreiben und Deutsch lernte. Zudem erhielt er Religionsunterricht. Sobald er schreiben konnte, schickte er traurige Briefe an seinen Chef: „Ich will nicht hier bleiben in Cladow, ich will Dein Diener bleiben in Berlin. Bitte Herr Lieutenant, lass Dein Zampa nächsten Sonntag taufen.“ Aber Morgen blieb hart, M‘Ebono musste noch den Herbst über Unterricht nehmen und wurde schließlich im November 1891 auf den Namen Martin Paul Zampa getauft.
Danach wurde er Soldat der deutschen Schutztruppen in Kamerun und nahm an zahlreichen Kämpfen gegen seine Landsleute teil. Hochdekoriert mit Orden, quittierte er 1899 den Dienst, wurde ein wohlhabender Kaufmann und pflegte einen europäischen Lebensstil. 1914 tauchte sein Name wieder in den Kolonialakten auf. Es wurde ihm vorgeworfen, eine Verschwörung angezettelt und heimlich junge Krieger zum Kampf gegen die deutsche Kolonialmacht ausgebildet zu haben. Am 8. August wurde er standrechtlich erschossen. Heute wird Martin Paul Zampa in den kamerunischen Schulbüchern als früher Kämpfer gegen den Kolonialismus gefeiert.
In den Zwanzigerjahren erlebte die afrikanische Community in Berlin eine Blütezeit. Berlin entwickelte sich zu einem Zentrum des Jazz, der Varietékultur und der neu aufkommenden Filmindustrie. Überdurchschnittlich viele Schwarze aus Afrika und Amerika arbeiteten als Musiker, Tänzer, Artisten oder Schauspieler. Der Afroamerikaner John Welch schreibt über seinen Aufenthalt in Berlin: „Bevor Hitler an die Macht kam, wurde der Schwarze außergewöhnlich gut behandelt. Er kann in jedem der besten Hotels ein Zimmer bekommen. Er kann in jede Bar, jedes Restaurant, Café oder Nachtclub gehen und wird dort höflich bedient. Er kann Schulen und Universitäten besuchen. Kurz, er kann alles tun, wozu er in der Lage ist, so lange er sich anständig benimmt und das Geld und die Mittel dafür hat.“
Dies änderte sich mit Hitlers Machtantritt. Bereits 1933 wurde die Ausstrahlung von Jazz – „Niggermusik“ – im Radio verboten. Systematisch wurden die Afrikaner aus lukrativen Jobs gedrängt. Durch die Nürnberger Gesetze wurden sie dann – wie die Juden – völlig entrechtet. Die Filmindustrie jedoch bot noch einer Reihe von Afrikanern Arbeit und einen gewissen Schutz. Die Nationalsozialisten hatten das neue Genre des Kolonialfilms kreiert, um die Deutschen für die Rückeroberung der deutschen Kolonien zu begeistern. Für diese Filme brauchten sie schwarze Darsteller.
Einer von ihnen war Bayume Muhammed Hussein. Er wurde Ende des 19. Jahrhunderts in Deutsch-Ostafrika geboren, dem heutigen Tansania. Als sogenannter „Askari“, als Angehöriger des deutschen Afrikakorps, nahm er am Ersten Weltkrieg teil. In den Zwanzigerjahren kam er nach Berlin. Als ehemaliger Askari bekam er einen deutschen Pass und konnte heiraten. Im Januar 1933 kam der erste Sohn zur Welt. Wenige Wochen später wurde Hitler Reichskanzler. Bald musste Hussein seinen Job als Kellner bei Kempinski aufgeben. 1940 bekam er eine kleine Rolle im Kolonialfilm „Carl Peters“. Wenige Monate später wurde er verhaftet und ins KZ Sachsenhausen deportiert – wegen „Rassenschande“. Er hatte während der Dreharbeiten eine „arische“ Frau kennen gelernt und mit ihr ein Kind gezeugt. Drei Jahre später war er tot. Nicht einmal die offizielle Todesursache ist bekannt. Seine Leiche wurde verbrannt, die Urne seinem zwölfjährigen Sohn übergeben. Sein Grab liegt heute auf dem Friedhof für die Opfer von Krieg und Gewalt in Berlin-Reinickendorf.
1945 existierte die afrikanische Community in Berlin praktisch nicht mehr. Viele Afrikaner waren ins Ausland geflohen, die wenigen Zurückgebliebenen waren eingeschüchtert und hatten wenig Kontakt zueinander. In der deutschen Öffentlichkeit herrschte nach wie vor ein ungebrochen rassistischer Diskurs, etwa wenn von den Kindern schwarzer Besatzungssoldaten mit deutschen Müttern die Rede war. „Ingrid und Christian, Gisela und Helmut, das sind die blonden Vornamen von Kindern mit wulstigen Lippen, gekräuseltem Negerhaar und einem mehr oder weniger braunen Fellchen.“ So beginnt ein Artikel aus den Fünfzigerjahren über schwarze „Besatzungskinder“.
Erst seit den Sechzigerjahren kamen wieder in größerer Zahl Studenten und Arbeiter aus den unabhängig gewordenen afrikanischen Staaten – je nach politischer Couleur ihrer Herkunftsländer nach Ost- oder nach Westberlin. Seit dem Fall der Berliner Mauer, das bestätigen alle Schwarzen, die in Berlin leben, ist das politische Klima feindseliger geworden, im Osten wie im Westen. Vor allem die immer wieder hochgekochte Debatte über den angeblich massenhaften „Missbrauch des Asylrechts“ vergiftet die Atmosphäre und ermutigt Rechtsradikale zu gewalttätigen Übergriffen. Schwarze, die aufgrund ihrer Hautfarbe sofort als Fremde zu erkennen sind, sind dabei besonders gefährdet. Obwohl nur sieben Prozent der Asylbewerber aus Afrika kommen, sind Afrikaner besonders massiv fremdenfeindlichen Angriffen ausgesetzt.
Auch der angolanische Wirtschaftswissenschaftler Pierre A. machte diese Erfahrung. Als er 1991 in Berlin politisches Asyl beantragte, glaubte er, nun den ethnischen Verfolgungen entkommen zu sein, denen er im Bürgerkriegsland Angola jahrelang ausgesetzt war. Ein Irrtum, denn er wurde in die sächsische Kleinstadt Hoyerswerda verlegt. Nachdem er und andere Asylbewerber tagelang von rechtsradikalen Jugendlichen mit Steinen und Brandsätzen bedroht wurden, rettete sie eine Gruppe von Berliner Autonomen vor dem randalierenden Mob und brachte sie nach Berlin.
Dr. Jean M., der 1976 nach Westberlin kam, will dieser Entwicklung nicht tatenlos zusehen. Er erarbeitete ein antirassistisches Unterrichtsprogramm und reist seit 1992 damit durch Brandenburgs Schulen, erzählt den Schülern über seine Heimat Zaire, sein Leben in Deutschland, beantwortet Fragen, geht auf Vorurteile ein. Sein Ziel: „Dass wir hier sind, sollte endlich einfach selbstverständlich sein. Schließlich leben wir Schwarzafrikaner nicht erst seit heute in Deutschland!“
Ursula Trüper, 46, ist Historikerin und lebt als freie Journalistin in Berlin.
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