: Chaos fährt mit
Was Sat.1 kann, kann RTL 2 schon lange. Deshalb startet am Sonntag mit „You drive me crazy“ (22.15 Uhr) endlich wieder eine Fahrschul-Doku
Big Brother, die nächste Runde: Vor den Überlebenskampf auf der Insel (in der geplanten Strandschmonzette „Expedition Robinson“) haben die TV-Götter die Survival-Schlacht im täglichen Straßenverkehr gesetzt. „Comedy-Doku-Soap“ heißt das im RTL-2-Jargon, „You drive me crazy“ in der Programmzeitschrift.
Zwölf Berliner Fahrschüler wurden vier Monate lang bei ihren ersten Fahrversuchen mit der Kamera begleitet. So was reicht in München bereits für den Dokumentationscharakter. „Besonders skurrile Leute mit verrückten Lebensläufen“ hatte man zuvor beim Casting für die Reality-Soap ausgewählt. Das zumindest scheint der Produktionsfirma „Blue Eyes“ gelungen. Wenn Berlins bekannteste Prostituierte Molly die Handbremse nicht findet, weil sie draufsitzt, und Stripperin Marnie wie ein panisch grinsender Hamster am Steuer schraubt, hat das durchaus einen gewissen humoristischen Charme. Und vom blass-biederen Börsenfreak über die Berliner Dragqueen bis hin zur 76-jährigen Radkappenzerstörerin hat man nacheinander alles in den Wagen gepackt, was reinging und einigermaßen durchgedrehtes Verhalten erhoffen ließ. Die Absurdität des Skurrilen soll Zuschauer locken, vornehmlich junge natürlich – die werberelevante Zielgruppe eben.
Nur ist die Idee bekanntermaßen alles andere als neu. Bereits im Mai vergangenen Jahres ließ Sat.1 mit annehmbarem Quotenerfolg „neun Menschen, vom Schicksal durch ein gemeinsames Ziel verbunden“, auf Fahrlehrer und Zuschauer los. Erst im Januar waren die Folgen in der Wiederholung zu sehen. RTL 2 beansprucht dennoch für sich, mit der Ulk-Reality eine „einzigartige neue Sendeform“ erfunden zu haben. Revolutionäre Neuerung: Die Verknüpfung der vom Sender gerne als „authentisch“ bezeichneten Fahrschul-Szenen mit Comedyelementen.
Doch zumindest das ging schon mal gründlich daneben. Nach 25 Minuten Kupplungtreten, Motorabwürgen und Kurvenlenken übernimmt das hessische „Badesalz“-Imitat „Mundstuhl“ den Reality-Klamauk und versucht sich – erfolglos – an einem ebenso aufgesetzten wie unlustigen Fahrschulsketch.
Bei Sat.1 jedenfalls ist man sich sicher, dass die Comedy-Zugabe einzig zur Abgrenzung von der eigenen Sendung „Die Fahrschule“ dient. Intern wird gar gemunkelt, ein ehemaliger Kollege habe die Konzeptidee mit zu RTL 2 genommen. Davon will man in München jedoch nichts wissen: „Irgendwann wiederholen sich alle Sendungen einmal. Wir wissen, dass Sat.1 schon einmal etwas Ähnliches gemacht hat. Aber unser Zielpublikum ist jünger und wir haben die interessanteren Fahrschüler ausgewählt“, pocht Claudia Burau von RTL 2 auf die Eigenleistung des Senders.
Dass die Kamera die TV-Fahrschulhelden auch im Alltag begleitet, ist für die Produzenten ein weiterer Indikator für die „Neuheit“ des Formats. Spätestens wenn der Zuschauer Oma Brunhilde im trauten Heim beim Ansehen ihrer Strapse-Fotos über die Schulter sieht oder sich in Mollys Puff von der übergewichtigen Bordellbesitzerin mit einem Plastikdildo die zuvor gelernten Schaltübungen erklären lässt, ist die Fahrschul-Soap allerdings auf dem gewohnten RTL-2-Niveau angelangt. Schließlich verbricht dieselbe Produktionsfirma für den Sender auch „exklusiv – die reportage“.
Sechs Folgen von „You drive me crazy“ sollen bei RTL 2 über den Äther gehen. Konkurrenz von Sat.1 müssen die Münchener in nächster Zeit nicht befürchten. Trotz „supertoller Quoten“ soll „Die Fahrschule“ nicht fortgesetzt werden. Für den kommenden Winter ist jedoch bereits die nächste Sat.1-Reality-Soap in Planung. Und dann gibt es auch ein Wiedersehen mit einigen Fahrschulprotagonisten. Diesmal jedoch in der „Skischule“. Na dann: Ski Heil! Sozusagen. PEER SCHADER
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen