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Die pralle Schönheit der Fälschungen

Legenden sind zäh. Auch die Legenden um Madame de Pompadour. Der Autor Hans Pleschinski beschreibt die Mätresse am französischen Hof als zynisch, frigide und intrigant. Nur stützt er sich dabei – wie so viele vor ihm – auf Briefe, von denen die meisten gefälscht sind

von ANDREA WEISBROD

Für Aufsehen hat Jeanne Antoinette de Pompadour schon viel gesorgt, nun tut sie es wieder einmal. Kürzlich erschien ein umfangreicher Band mit Briefen der offiziellen Mätresse Ludwigs XV. von Frankreich. Hans Pleschinski, der Herausgeber, hat die Briefe zum Teil neu übersetzt und durch umfangreiche Zwischentexte verbunden. Anhand der Briefe möchte er die „Lebensgeschichte“ der Mätresse erzählen. Ein anspruchsvolles Projekt. Nur leider ist ihm entgangen, dass es sich bei den Briefen zumeist um Fälschungen handelt.

Madame de Pompadour hat schon ihre Zeitgenossen zu einer Vielzahl wahrer und erfundener Geschichten hingerissen. Seit ihrer offiziellen Vorstellung am Hof im September 1745 brodelte die Gerüchteküchte. Der Mätresse wurde vieles nachgesagt und fast alles zugetraut. Unter anderem flüsterten die Versailler Lästerzungen, sie beherrsche – von Ehrgeiz zerfressen – den König und Frankreich, presse das Land finanziell aus und stürze es in ruinöse Kriege; zu allem Überfluss sei sie auch noch frigide, ihre sexuelle Leidenschaft dem König gegenüber nur geheuchelt.

Warum die Höflinge so rüde mit einer Frau verfuhren, die von verlässlichen Quellen als zurückhaltend, höflich und politisch geschickt beschrieben wird, warum sie nicht müde wurden, immer neue Pamphlete über sie zu verbreiten, lässt sich einfach beantworten. Gerüchte, gefälschte Briefe oder Memoiren waren ein beliebtes Mittel, eine politische Gegnerin zu verunglimpfen oder – solche Glücksfälle waren allerdings seltener – ihre höfische Karriere vollständig zu ruinieren. Hatte eine Person wie im Fall Pompadour eine außerordentliche Machtstellung inne, konnte ihren Gegnern sogar daran gelegen sein, sie auch noch posthum zu verleumden. In gefälschten Memoiren und Briefen entwarfen sie ein negatives Bild dieser mächtigen Frau, das auch bei nachfolgenden Generationen keinen Zweifel an ihrer Schlechtigkeit aufkommen lassen sollte. Lange vor Enstehung der Yellow Press konnten solche Fälschungen zudem die Klatschsucht befriedigen.

Besonders eine Ausgabe mit Briefen, die angeblich von Madame de Pompadour selbst verfasst worden waren, erfreute sich größter Beliebtheit. 1772 zum ersten Mal aufgelegt, verkaufte sich die Fälschung, obwohl mehr als durchsichtig, so gut, dass der Herausgeber namens Barbé-Marbois schon zwei Jahre später eine erweiterte Brief-Edition folgen ließ. Diese enthielt nicht nur die vermeintlichen Briefe der Mätresse, sondern auch Antwortbriefe verschiedener Mitglieder der Hofgesellschaft.

Angesichts des plumpen Vorgehens der Fälschungen wird damals zwar kaum jemand an die Authentizität der Briefe geglaubt haben, gelesen und gekauft wurden sie dennoch so wie ausgedehnte Fotoreportagen über den Tod von Lady Di in unserer Zeit. Die Zeitgenossen kauften die erste, zweite, dritte und vierte Auflage der Ausgabe Barbé-Marbois’ und goutierten deren delikaten Inhalt über das Leben am Hof. Soweit ist der Erfolg der gefälschten Briefe im 18. Jahrhundert also nicht weiter verwunderlich. Was dann allerdings passierte, lässt einen ins Staunen geraten.

Die Erfolgsstory der Briefe setzte sich fort. Trotz beginnender Geschichtswissenschaft und entwickelter Methoden der Quellenkritik wurden die Briefe im 19. Jahrhundert zu einer wesentlichen Grundlage der immer zahlreicher erscheinenden Biografien über die Mätresse. Berühmte Kulturhistoriker wie die Brüder Edmond und Jules de Goncourt versuchten die Pompadour als politisch minderbemittelte, ehrgeizige Staatsverderberin zu zeigen, und da kamen ihnen die gefälschten Briefe gerade recht.

Sie zeichnen ein Bild der Pompadour als eitle, illoyale, zynische, in diplomatischer Hinsicht geradezu schwachsinnige Frau und belegen mit Nachdruck, wie unklug es doch sei, Frauen Macht in die Hände zu geben. Mit „der Pompadour“ und dem sie umgebenden Reichtum an gefälschten Storys wurde im ausgehenden 19. Jahrhundert ein einleuchtendes Symbol geschaffen, das im Kampf gegen liberale Veränderung und Emanzipation eingesetzt werden konnte. Seht her, scheinen die Pompadour-Biografen ihren Lesern zurufen zu wollen, das passiert, wenn eine Frau Macht ausüben will!

Es half auch wenig, dass ein Spezialist in Sachen Briefe, der Sammler und Taxator Etienne Charavay, in seiner kleinen Zeitschrift L’Amateur d’Autographes im Jahr 1876 die Ausgabe Barbé-Marbois’ als geradezu lächerlich durchsichtige Fälschung bezeichnete. Die Briefe wirkten zu verführerisch und bestätigten zu sehr das Bild der vermeintlich von Frauen beherrschten, verworfenen Adelsgesellschaft, als dass die Biografen auf sie hätten verzichten können.

Nun könnte man sagen, das sei alles kalter Kaffee und pure bürgerliche Ideologie des 19. Jahrhunderts. Die gefälschten Briefe und ihre Verwendung als vermeintlich authentische Quelle lassen sich jedoch bis in die aktuelle Gegenwart verfolgen. Nachdem das deutsche Feuilleton 1998 die Neuauflage der Pompadour-Biografie der Brüder Goncourt höchst wohlwollend aufnahm, erfreut sich nun Hans Pleschinskis Band großer Beliebtheit. In altbekannter Manier benutzt er die prallen, bilderreichen Fälschungen der Ausgabe Barbé-Marbois’ für seine Version der Geschichte der Pompadour. Wen wundert es da, dass sie kaum von den in den Biografien üblichen klischeehaften Inhalten abweicht? Am Schluss hört Pleschinski angesichts der vermeintlichen Lebensnähe der Briefe sogar das Pompadoursche „Seidenkleid scharf durch die Zimmer rauschen“.

Selbst wenn man den kleinen Artikel von Charavay nicht kennt, was angesichts der Exotik dieser Quelle nicht verwunderlich wäre, genügt doch ein wenig historische Kenntnis, um die Briefe auf der inhaltlichen Ebene als Fälschungen zu erkennen. Bei Hans Pleschinski ist etwa folgender Auszug aus einem Brief nachzulesen, den Madame de Pompadour angeblich 1747 an eine Marquise de Blagny geschrieben haben soll: „Doch die Königin hat, trotz all ihrer Heiligkeit, einen großen Fehler: sie hasst mich; mir gegenüber scheint sie das Gebot zu vergessen, das Königinnen wie alle übrigen Menschen verpflichtet, ihren Nächsten zu lieben wie sich selbst. Ich, ich habe diesen Fehler nicht, durch Gottes Gnade.“

Hätte die Mätresse tatsächlich die Königin von Frankreich öffentlich eines großen Fehlers bezichtigt und sie gar in eine Reihe mit Normalsterblichen gestellt, wäre das ebenso anmaßend wie dumm gewesen. Dies umso mehr, als die Marquise de Blagny nicht zu ihren Vertrauten zählte. Ein solcher Brief – an den König weitergeleitet, der Illoyalität und Kritik an seiner Familie in seinem Umfeld nicht duldete – hätte das definitive Ende der Pompadourschen Karriere am Hof bedeutet. Und dass ein Brief an einem Hof, der kein Briefgeheimnis kannte, weitergeleitet worden wäre, steht außer Zweifel.

Ein Heer von Höflingen wartete nur auf eine solch günstige Gelegenheit, sich selbst, auf Kosten der Mätresse, beim König in ein vorteilhaftes Licht zu setzen. Madame de Pompadour trug diesen höfischen Gepflogenheiten Rechnung, denn tatsächlich bemühte sie sich immer um konfliktvermeidendes Verhalten und die Demonstration ihrer Loyalität gegenüber König und königlicher Familie. Dies lässt sich eindeutig anhand eines 1878 von Poulet-Malassis veröffentlichten Konvoluts von Briefen belegen, die ihr einwandfrei zugeschrieben werden können. Ihre dort nachvollziehbare diplomatische Strategie hat sich schließlich als so erfolgreich erwiesen, ihr zwanzig Jahre, bis zu ihrem Tod im Jahr 1763, die mächtige politische Stellung der offiziellen Mätresse des französischen Königs zu sichern.

Das vorliegende Buch perpetuiert ein klischeehaftes Pompadour-Bild, das nicht nur ärgerlich, weil weitgehend überholt, ist. Es versperrt auch den Blick auf die weitreichende Bedeutung einer offiziellen Mätresse in der höfischen Gesellschaft.

Frauen, die eine derartige Position besetzten, übernahmen überwiegend politische Funktionen an einem Hof, an dem Politisches und Privates noch kaum getrennt waren. Sie gaben Audienzen wie ein Minister, wählten aus, welche Anfragen an den König weitergeleitet werden sollten, und spielten eine wesentliche Rolle in der höfischen Personalpolitik. Der König benutzte sie, um den Einfluss anderer mächtiger Hofparteien zu begrenzen und die miteinander gnadenlos konkurrierenden Gruppen zu befrieden. Die Handlungsspielräume der Mätressen waren jedoch ebenso begrenzt wie die anderer Hofmitglieder.

In Madame de Pompadour tritt uns demnach nicht eine ehrgeizige Gespielin des „dekadenten“ französischen Königs gegenüber, sondern eine diplomatisch und politisch gebildete Frau, die maßgeblich zur Wahrung des labilen Mächtegleichgewichts am französischen Hof beigetragen hat.

„Madame de Pompadour. Briefe“. Übersetzt und herausgegeben von Hans Pleschinski. Hanser Verlag, München, 445 Seiten, 49,80 DM. Ein Buch unserer Autorin zur Stellung der offiziellen Mätressen in Frankreich erscheint im Herbst im Ulrike Helmer Verlag

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