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Der digitale Jungbrunnen des Doktor Sommer

Die grundsolide Teenagerzeitschrift „Bravo“ will endlich wieder modern werden – und plant und plant und plant ihren Internet-Auftritt

1.01.01 liest sich gut, liest sich ziemlich digital – und heißt wahrscheinlich: zu spät.

Denn erst ab dem 1. 1. 2001 wird es Bravo online geben. Noch ganze acht Monate will sich der Marktführer unter Deutschlands Jugendmagazinen (Auflage 1999: rund 835.000 Exemplare) Zeit lassen, bis er ins Netz geht. Zwar hatte Verlagssprecher Andreas Fritzenkötter in der Frankfurter Rundschau noch im Februar den Start im ersten Halbjahr 2000 angekündigt, doch davon will jetzt offenbar niemand mehr etwas wissen: „Das höre ich zum ersten Mal“, verteidigt sich Werner von Moltke, der für alle Bravo-Aktivitäten jenseits der gedruckten Ausgabe zuständig ist.

„Objektleiter Bravo Spezial“ lautet Moltkes offizieller Titel beim Heinrich Bauer Verlag, in dem Bravo und die diversen Ableger (Bravo Girl, Bravo Sport, Bravo Screen Fun) erscheinen. „Wir bauen eine völlig eigenständige Online-Redaktion auf, das braucht einfach Zeit.“ Und außerdem soll die virtuelle Welt perfekt funktionieren, sagt Moltke, und nicht wie woanders gleich zusammenbrechen, wenn User millionenfach zugreifen (er meint wohl die „Big Brother“-Abstürze bei RTL 2). Insgesamt gehe es um „eine Auswahl mit Bedacht“, sagt Moltke und verweist auf den leer gefegten Markt für Online-Journalisten. Kritiker vermuten hier jedoch eher verlagsübliche Bedächtigkeit am Werke, schließlich ist gerade das Internet ein „Speed-getriebenes“ Medium, dass der Branche so schöne Worte wie „First-Mover-Bonus“ beschert. „Ein halbes Jahr Vorsprung kann absolut entscheident sein“, sagt Ex-TV-Spielfilm-Chefredakteur Christian Hellmann, heute Vorstandsvorsitzender der Tomorrow Internet AG, die alle Online-Aktivitäten der Verlagsgruppe Milchstraße (TV Spielfilm, Max, Amica, Cinema, net business, tomorrow, Fit for Fun) verwaltet. Ob die grundsolide Marke Bravo diese Verspätung aufholen kann, muss sich zeigen, zumal sich von Moltke beim vorgestern begonnen „Hamburger Dialog“ der Medien- und Werbebranche schwer tat zu beschreiben, was denn die enorme Anlaufzeit rechtfertigt.

Doch Bravo.de wird gar nicht der erste Ausflug von Dr. Sommer & Co. ins Internet: Von 1996 bis Ende 1999 gab es schon Bravo Street, ein schmales Angebot in Sachen Online-Beratung in allen Lebenslagen mit dem Partner AOL. Zu wenig, befand der Verlag: Bravo.de soll jetzt das „Jugendportal“ im Internet werden und die Zielgruppe unter 20 sicher und – wie die bunten Heftchen – auch ein bisschen bieder zu Sites und Fun lotsen.

Seine Dachmarkenstrategie setzt der Verlag dabei wie kein zweiter um: Schon heute müssen die Konzertkritiken für Bravo und für den seit 1993 bei RTL 2 beheimateten Fernsehableger „Bravo-TV“ gleich laufen – schließlich sind die Zuschauer auch Bravo-Leser. Der Verriss im Heft und gleichzeitiges Lob in der Sendung oder (zukünftig) im Internet würde da unnötig Verwirrung stiften. Publizistische Vielfalt legt der Verlag eben gern auf seine Weise aus: Als Ergänzung zum monatlichen Videospielmagazin Bravo Screen Fun etwa gibt es jetzt einmal pro Jahr auch eine Screen-Fun-CD mit den besten Spiele-Soundtracks. stg

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