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Die Normalität und ihre Tücken

Präsident Havels erster Staatsbesuch in Deutschland. Im Mittelpunkt der Gespräche der EU-Beitritt Tschechiens. Deutsch-tschechische Beziehungen „so gut wie nie zuvor“. Forderungen der Sudetendeutschen sind nach wie vor eine Barriere

von CHRISTIAN SEMLER

Zehn Jahre ist es her, dass Václav Havel der Bundesrepublik einen ersten Besuch abstattete. Seither ist die „Reise nach Europa“, damals der Sehnsuchtsbegriff Nr. 1 in der tschechischen Öffentlichkeit, ein großes Stück vorangekommen. Und Deutschlands Regierungen haben sich auf dieser Reise im Großen und Ganzen nicht als Barriere erwiesen.

Seitdem nach jahrelangem Hängen und Würgen 1997 die „Gemeinsame Erklärung“ ratifiziert wurde, haben sich die wirtschaftlichen und kulturellen Kontakte auch im Verhältnis beider Staaten vervielfältigt. Skoda ist die schönste Tochter von VW, das Jugendwerk floriert, der deutsch-tschechische Zukunftsfonds wird schwergewichtig für die noch lebenden Opfer der NS-Besatzung verwendet. Karel Gott, das Bier und das Goldene Prag stehen zwar nach wie vor im Mittelpunkt des deutschen Publikumsinteresses. Aber auch im Bereich grenzüberschreitender „zivilgesellschaftlicher“ Aktivitäten, das Lieblingsthema Havels, tut sich Erfreuliches, z. B. die Arbeit der Initiative „Tandem“ mit Sitz in Regensburg und Pilsen. Tschechiens Präsident wird deshalb nicht müde, darauf hinzuweisen, dass die gegenseitigen Beziehungen heute so gut sind wie niemals in der Geschichte beider Staaten seit der Wiedergeburt der Tschechoslowakei 1918.

Havel ist mittlerweile genug Realpolitiker, um zu wissen, dass der EU-Beitritt Tschechiens möglichweise bis 2003 nicht klappt. Desto dringlicher wird er die deutschen Politiker auffordern, ihren Einfluss in Brüssel aufzubieten, damit die Verhandlungen nicht im Gestrüpp gegenseitiger Vorbehalte hängen bleiben. Diese Verhandlungen sind ein Spiel auf Zeit, denn in der tschechischen Öffentlichkeit mehren sich Ängste. Havel wird sich auch in Berlin zur inneren Reform der EU äußern. Er tritt für eine Verfassung der EU ein, warnt vor rassistischen Tendenzen. Er mahnt die EU zu einer selbstständigeren Haltung der Europäer gegenüber den USA in Sachen „humanitärer Intervention“. Der abwägende, alles Konkrete vermeidende Duktus seiner letzten öffentlichen Erklärungen lässt freilich die konkreten Probleme (Tschetschenien, Kosovo) im Dunkeln.

Das Stichwort von der „Normalität“ in den tschechisch-deutschen Beziehungen wird allerdings etwas voreilig verwandt. Die Entschädigungsforderungen der Sudetendeutschen Landsmannschaft stehen unverrückt fest. Havel hat auch in den letzten Tagen wieder klar gemacht, dass an die Aufhebung der beiden Benes-Dekrete, die Enteignung und Vertreibung der Sudetendeutschen besiegelten, nicht zu denken ist. Bundeskanzler Schröder wird ihm erneut versichern, dass die fortdauernde Existenz beider Dekrete kein Hindernis für die Aufnahme Tschechiens in die EU darstellen. Seit 1990 hat Havel viel dazu beigetragen, den Boden zwischen Tschechen und Sudetendeutschen zu lockern, und dabei zu Hause einige Prügel eingesteckt. Vielleicht wird die zunehmende politische Differenzierung in der Sudetendeutschen Landsmannschaft jetzt dazu beitragen, dass auch die tschechische Seite sich wieder bewegt. Zum Beispiel durch Entschädigung derjenigen Sudetendeutschen, die heute Bürger Tschechiens sind.

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