: Auf dem Jobmarkt gibt es nur kleine Wunder
Junge Behinderte und Benachteiligte haben nur in Nischen eine Chance. Fachmesse für neue Projekte in der Jugendhilfe eröffnet
BERLIN taz ■ Martin D. gehört zu jenen Menschen, die weder etwas mit der Globalisierung zu tun haben noch mit der so genannten Informationsgesellschaft. Martin D. hat das Down-Syndrom. Und trotzdem hat er einen Job gefunden. Er backt Brötchen in einer Hamburger Bäckerei und wird dafür bezahlt – ein echtes Wunder in Zeiten des Turbokapitalismus.
Das Wunder wurde möglich, weil Martin erstens einen freundlichen Arbeitgeber und zweitens eine Helferin fand, die ihm beistand, als er angelernt wurde. „Hamburger Arbeitsassistenz“ heißt das Modell, nach dem Leute wie Martin nicht mehr unbedingt in einer Behindertenwerkstätte landen müssen.
Das Hamburger Projekt ist eins von 100 Projekten zur Förderung benachteiligter Jugendlicher, das von Bundesfamilienministerin Christine Bergmann (SPD) als besonders gelungen ausgezeichnet wurde. Auf einer gestern in Leipzig eröffneten Fachmesse „Fit für Leben und Arbeit“ wurden dieses und andere neue Projekte aus der Jugendhilfe vorgestellt.
Das Beispiel des jungen Martin zeigt, dass eine Gesellschaft für Leute wie ihn Nischen braucht – und die werden eben auch von Menschen geschaffen. Die Sozialhelfer der „Hamburger Arbeitsassistenz“ hatten einen aufgeschlossenen Bäckermeister gefunden, der nichts dagegen hatte, einen geistig behinderten jungen Mann zu beschäftigten. Einer seiner Konditoren hat selbst ein behindertes Kind.
Da die Kollegen im Bäckereibetrieb keine Zeit hatten, den neuen Helfer einzuarbeiten, wurde Martin vom ersten Tag an von einer so genannten Arbeitsassistentin begleitet. Sie erfand Hilfsmittel wie markierte Leisten, durch die Martin lernte, die Bleche korrekt mit den Rohlingen zu belegen. Heute ist Martin D. bei der Bäckerei als Helfer sozialversicherungspflichtig angestellt.
Neben den jungen Behinderten gibt es noch andere Jugendliche, die vor allem Sozialpolitikern Kopfzerbrechen bereiten: 80.000 Jugendliche verlassen alljährlich die Schule ohne einen Abschluss – im Westen bleibt jeder Fünfte von ihnen danach arbeitslos, im Osten sogar jeder Zweite.
Das Aachener Projekt „Motivia“ versucht, schon im Vorfeld Schulverweigerern zu helfen. In einem Altbau leben 12 Jugendliche im Alter zwischen 12 und 16 Jahren, die zur Hälfte aus Haupt- und Sonderschulen kommen.
Meistens haben die jungen Leute gleich mehrere Probleme: „Familiäre Schwierigkeiten, Drogenmissbrauch, Schwangerschaften und Lerndefizite“, heißt es in einer Schrift des Deutschen Jugendinstituts (DJI) in München, das 20 der prämiierten Jugendhilfe-Projekte vorstellte. Zwei Mädchen bei „Motivia“ sind schwanger, ein Junge verbüßte zwischenzeitlich eine vierwöchige Strafe im Jugendgefängnis. Bei „Motivia“ werden sie in Kleinstgruppen oder sogar einzeln unterrichtet und nehmen an Computer-, Handwerks- und Sportgruppen teil.
Aber nicht nur die praktische Wissensvermittlung ist bei „Motivia“ wichtig, sondern vor allem die psychische Stabilisierung. „Die Jugendlichen sind ja nicht dumm, sie trauen sich nur nichts mehr zu“, wird eine Sozialpädagogin in der DJI-Schrift zitiert.
Die Reintegration der SchülerInnen in die Regelschule musste im Laufe der Zeit daher relativiert werden. „Gerade ältere SchulverweigerInnen sind nicht mehr bereit, in die ‚normale Schule‘ zurückzukehren“, resümiert die Leiterin von „Motivia“. Diese Jugendlichen können nur noch einen Platz in einer vorberuflichen Maßnahme des Arbeitsamts oder als Praktikant im Betrieb finden.
Mit Glück arbeiten sie dann künftig als angelernte Kräfte – allerdings mit einem höheren Risiko, arbeitslos zu werden, als ihre Altersgenossen mit Berufsausbildung. BARBARA DRIBBUSCH
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