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Grüne Angst vorm Stehaufmann

Fünf Jahre lang machten die nordrhein-westfälischen Grünen fast alles mit, was der große Koalitionspartner SPD wollte. Zum Dank liebäugeln die Sozis jetzt mit Möllemanns FDP – und die Grünen zittern wie das Kaninchen vor der Schlange

aus Köln PASCAL BEUCKER

Die Umfragen signalisieren Entwarnung – trotzdem könnte die Landtagswahl am Sonntag für die Grünen in NRW ein Déjà-vu-Erlebnis werden. Am Wahlabend 1990 mussten sie bis tief in die Nacht zittern, ehe feststand, dass der Sprung in den Landtag geschafft war. Auch jetzt könnte es wieder knapp werden, sehr knapp. Diesmal geht es um die weitere Regierungsbeteiligung.

„Wer Rot-Grün will, muss Grüne wählen“, trommeln die grünen Wahlkämpfer und hoffen, mit der Angst vor einer rot-gelben Koalition noch Unentschlossene mobilisieren zu können. Von den zehn Prozent, die sie vor fünf Jahren errang, ist die Öko-Partei weit entfernt. Heute wäre es bereits ein riesiger Erfolg, vor dem FDP-Stehaufmännchen Jürgen W. Möllemann zu landen.

Während der Kampf der Großen zugunsten von SPD-Ministerpräsident Wolfgang Clement gegen seinen CDU-Herausforderer Jürgen Rüttgers entschieden scheint, tobt der Kampf der Kleinen. Die Grünen fighten mit harten Bandagen. Fraktionschef Roland Appel spricht von „organisierter Korruption“, wenn er die FDP meint. Landessprecher Reiner Priggen verglich FDP-Spitzenkandidat Möllemann gar mit Jörg Haider: „Die ganze Partei besteht aus einer Person. Das ist Wahlkampf, wie ihn Haider gemacht hat in Österreich.“

Priggen wird wie seine Sprecherkollegin Barbara Steffens wohl nach der Wahl in den Landtag wechseln und den Landesvorsitz aufgeben. Der Realo Priggen, der sechs Jahre an der Spitze der NRW-Grünen stand, wird als künftiger Fraktionsvorsitzender gehandelt. Doch erst muss der 14. Mai überstanden werden. Dass sich die Partei in der Schlussphase des Wahlkampfes auf die FDP einschießt, könnte ihre Rettung sein. Das Schreckgespenst einer Clement/Möllemann-Koalition könnte die eigene Profillosigkeit nach fünf Jahren auf der Regierungsbank überdecken.

„Dafür.“ So lautete das nichtssagende Wahlkampfmotto der früheren Protestpartei. Doch wofür, blieb während des gesamten Wahlkampfs unklar – außer, dass sie weiterhin an der Regierung bleiben will. Eine gefährliche Wahlkampfstrategie: Keine unbotmäßigen Forderungen sollten den großen Koalitionspartner verschrecken.

Doch dass die grünen Wahlkämpfer immer wieder betonten, wie erfolgreich das rot-grüne Experiment in NRW sei, wirkte wenig überzeugend. Schließlich ließ die SPD in den vergangenen fünf Jahren kaum eine Möglichkeit aus, den kleinen Koalitionspartner zu demütigen. Die Genehmigung des Braunkohletagebaus setzten die Sozialdemokraten ebenso durch wie den Ausbau von Autobahnen und Flughäfen, gegen die sich die Grünen ausgesprochen hatten. Mehrfach stand die Koalition auf der Kippe, gerettet hat sie nur das Einknicken der Öko-Partei vor den SPD-Betonköpfen. Nicht einmal den bei den Koalitionsverhandlungen 1995 versprochenen WestLB-Verwaltungsratsitz durften sie besetzen. Die Grünen protestierten – dann fügten sie sich. Die zähe und gute Arbeit der grünen Umweltministerin Bärbel Höhn geriet so immer wieder in den Hintergrund.

„Wir sind verlässlich“, lautet die Botschaft von Michael Vesper. Nicht wenige bisherige Grünen-Wähler übersetzen dies mit: Wir sind langweilig geworden. Nicht einmal auf die Gerüchte aus dem SPD-Lager, Clement wolle nach der Wahl im Falle einer Fortsetzung von Rot-Grün der populären Umweltministerin Höhn wichtige Kompetenzen wegnehmen, sorgt für Empörungsstürme. Das könnte sich rächen. Trotz Möllemann.

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