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Wenn der Diskurs im Stau steht

Zwischen Bausparkassenwerbung und politischer Machtinszenierung: Bei ihrer 46. Auflage glänzen die Internationalen Kurzfilmtage in Oberhausen erstmals mit dem Sonderprogramm „Pop Unlimited?“, das Video als Medium wieder widerstandsfähig machen will

von ANDREAS HARTMANN

In Mike Mills Kurzfilm „Architecture Of Reassurance“ durchwandert ein verloren wirkendes Mädchen eine amerikanische Bubblegum-Siedlung, die man leicht als die so genannte heile Welt erkennen kann. Niemand nimmt sie hier auf oder scheint sie mit ihren Problemen verstehen zu können. Bis sie an ein anderes Teenager-Mädchen gerät, das sich aus ihrem Jugendzimmer einen Schrein aus identitätsstiftenden Abgrenzungsdevotionalien gezimmert hat. Die Wände sind vollgepflastert mit Postern von The Smith, The Cure und anderen Lieblingsbands von sich deplatziert und hässlich fühlenden Teenagern. Die selbst gebastelte Popwelt bietet jugendkulturellen Halt gegen die von Mills als steril und sozial abgekühlt gezeichnete Welt um sie herum.

Der Glaube an Pop als gelebte Praxis und konkrete Erfahrung, der von Mills liebevoll weich gezeichnet, aber vehement eingefordert wird, hat sich als roter Faden durch das gesamte Sonderprogramm „Pop Unlimited? – Imagetransfers und Bildproduktion in der aktuellen Popkultur“ der diesjährigen 46. Internationalen Kurzfilmtage in Oberhausen gezogen. Was vor allem bedeutete, dass versucht wurde, popkulturelle Image-Produktion in den verschiedensten Bereichen zu erfassen und einer Analyse zu unterziehen, die über die gängigen Untersuchungen von Repräsentation und die beliebte Auffassung von Pop als Differenzierungsmaschine hinausging.

Das renommierte Kurzfilmfestival hat sich mit diesem Sonderprogramm selbst einen Gefallen getan. Waren dessen Veranstaltungen doch durchweg gut besucht, und außerdem konnte Oberhausen bestätigen, eines der thematisch offensten Festivals seiner Art zu sein.

Gerade in letzter Zeit schien sich der Popdiskurs zunehmend in eine Sackgasse verfahren zu haben. Wo Pop nicht mehr automatisch für Widerstand steht, weil sich inzwischen aus allen Bereichen – von der Werbung für einen Bausparkassenvertrag bis hin zur politischen Machtinszenierung – am unendlichen Fundus von Pop-Images bedient wird, schien die subkulturelle Bedeutung eines Wir gegen die anderen zunehmend verloren gegangen zu sein. Doch statt nur über die verloren gegangenen Möglichkeiten von Pop zu jammern, was im gängigen Popdiskurs geradezu virulent geworden ist, wurde in Oberhausen vielmehr die Auflösung der Gleichsetzung von Pop als Widerstandsmedium als programmatische Basis für das Sonderprogramm herangezogen. Um so Pop und die von ihm ständig neu generierten Images unter den aktuellen sozialen und kulturellen Bedingungen neu zu verorten.

Das Anliegen von „Pop Unlimited?“-Kurator Christian Höller, Redakteur des popkulturell ausgerichteten österreichischen Kunstmagazins SpringerIn, war es dabei, ausgehend von dem Phänomen Haider, der sich die Möglichkeiten der Pop-Inszenierung wie kaum ein anderer rechtsradikaler Politiker für seine Zwecke angeeignet hat, die Analyse von Popkultur erneut zu politisieren. Einfach schon deswegen, weil angesichts der Möglichkeit eines popkulturellen Image-Transfers nach rechts die Untersuchung der aktuellen Funktionsweisen von Pop dringlicher erscheint denn je.

In den Veranstaltungen zu „Pop Unlimited?“, die sich auf unterschiedliche Weise Themenkomplexen wie girl culture, der Verwendung von Pop-Codes in Werbeclips oder Pop als Alltags- und kulturelle Abgrenzungspraxis näherten, wurde versucht, bestimmte Fragestellungen und Phänomene anhand von Videoclips und Kurzfilmen zu untersuchen. Dazu gab es jede Menge prominent besetzte Vorträge. Unter anderem war Mike Mills zu Gast. Mark Webber, Mitglied der englischen Popband Pulp und ausgewiesener Kenner experimenteller Kurzfilme, hielt einen Vortrag, und Simon Reynolds, ein renommierter Pop-Theoretiker, führte vor, wie sich die Entwicklung der Visualisierung von Videoclips in der Techno-Kultur vollzogen hat.

Der MuVi-Preis für das beste deutsche Musikvideo, der dieses Jahr das zweite Mal in Oberhausen verliehen wurde und die künstlerische Bedeutsamkeit des Clip-Genres betonen sollte, war dieses Jahr angesichts der Flut von Clips bei „Pop Unlimited?“ eher die kleine Nummer. Gewonnen haben die Clips zu „Der Mond“ von Rocko Schamoni und „Prowler“ von Bohren & Der Club of Gore. Warum den elf deutschen Clip-Produktionen allerdings ein weiteres Sonderprogramm „Die Elf des Jahres“, eine Auswahl der anscheinend international besten Videos, ausdrücklich als Vergleichsmaßstab entgegengesetzt werden musste, blieb schleierhaft. Auf einem Kurzfilmfestival, das auf einem derart hohen diskursiven Niveau Popkultur behandelte, hätte es diesen Rückfall in das leidige Vergleichraster deutsche versus internationale Popkultur nicht gebraucht.

Hinweis:Angesichts des Manipulators Haider scheint die ernsthafte Untersuchung der aktuellen Funktionsweisen von Pop manchem dringlicher denn je

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