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Nichts als ein Held

Hank Greenberg war ein begnadeter Baseballspieler. Das machte ihn zum Vorkämpfer jüdischer Emanzipation

von MARTIN KRAUSS

Hank Greenberg war ein amerikanischer Baseballspieler, und eigentlich gibt es keinen Grund, weiter nachzudenken über diesen Mann aus der Lower Eastside, dem ärmeren Viertel von New Yorks Stadtteil Manhattan. Nicht einmal Geburts- oder Todestag jähren sich. 1911 geboren, 1986 verstorben. Sein größter sportlicher Erfolg besteht eigentlich nur darin, einen ganz großen Erfolg verpasst zu haben: 1938 schaffte er es nicht, den legendären Rekord von Babe Ruth zu übertreffen, der 1927 in einer Saison sechzig Homeruns geschafft hatte.

Aber die Geschichte des Hank Greenberg, des ersten und wohl besten jüdischen Baseballprofis, der je in der höchsten US-Liga spielte, ist doch sehr aktuell. Die eben begonnene neue Saison der Major League könnte, wie die vorigen, eine der Homerunrekorde werden. Schon das verweist auf diesen Spieler, der mit seinem Schläger die Bälle weit über den Stadionzaun schlagen konnte.

Und noch mehr erinnert die soziale Zusammensetzung der aktuellen Homerunjäger an den jüdischen Mann, der im Detroit der Dreißigerjahre mit Hilfe des Baseball dem Antisemitismus trotzte. Die gegenwärtig besten Batter des US-Baseballs heißen Mark McGwire, Sammy Sosa und Ken Griffey Jr. . McGwire ist ein weißer Anwaltssohn, der mit siebzig Homeruns den Rekord hält. Sammy Sosa ist ein in der Dominikanischen Republik geborener Immigrant, der den Weißen McGwire regelmäßig jagt. Und Griffey Jr. ist ein Schwarzer, seit Jahren einer der konstant besten Schläger und Topverdiener der Liga.

Mit Greenberg hat das scheinbar nichts zu tun, aber dass der beste Baseball des ausgehenden Jahrhunderts von einem Weißen, einem Schwarzen und einem hispanic repräsentiert wird, hat doch etwas zu bedeuten. Es half mit, dass der noch vor wenigen Jahren krisengeschüttelte Profibaseball plötzlich stark wurde wie nie. Baseball repräsentiert wieder alle US-Schichten. Und eben das erinnert an Hank Greenberg.

Baseball, dieser so arbeitsteilige Sport, der schon den Ingenieur Frederick Winslow Taylor zur aufgestückelten Fabrikarbeit am Fließband inspirierte, repräsentiert endlich wieder Amerika. Im gegenwärtigen US-Baseball fehlt bloß noch ein jüdischer Star, und die männliche US-Gesellschaft wäre perfekt abgebildet. Einer wie Greenberg eben.

In den Dreißigerjahren heuerte er bei dem Proficlub Detroit Tigers an. Zunächst spielte Greenberg in einem unterklassigen Team, in dem er aber schnell zum wertvollsten Spieler avancierte. 1933 kam er in die Major League. Die Detroit Tigers waren ebenso Aushängeschild der Stadt wie die Automobilfabriken des Henry Ford. Der gilt als Begründer von Fließbandarbeit und moderner Fabrikorganisation; er war auch Herausgeber des Buches „Der internationale Jude“ und Verleger der „Protokolle der Weisen von Zion“.

Antisemitismus prägte das Klima des damaligen Detroit. Außer Ford wirkte mit Reverend Charles Coughlin noch ein anderer überzeugter und erfolgreicher Judenhasser in Detroit. Die Stimmung bei den Detroit Tigers war wie die Stimmung überall in der Stadt – judenfeindlich. Doch wurde Hank Greenberg gleich im ersten Jahr einer der besten und wertvollsten Schläger der Tigers, und im zweiten Jahr hatten sie erstmals seit 1909 wieder die Chance, um den Meistertitel zu spielen.

Eines der wichtigsten Spiele der Saison fiel auf Rosh Hashanah, das jüdische Neujahrsfest. Greenberg war zwar kein tief religiöser Jude, aber seine aus Rumänien eingewanderten Eltern waren es, und mit ihnen wollte er keinen Ärger. Greenberg wandte sich an einen Rabbi. „Unter drei Bedingungen“, so erklärte der ihm, könne er an Rosh Hashanah spielen: „Wenn keine Tickets an Orthodoxe verkauft werden, wenn im Stadion nicht geraucht wird, und wenn die Erfrischungen, die den Spielern gegeben werden, koscher sind.“ In Detroit machte sich Verunsicherung breit. Greenberg war zu wichtig für das Team, und die Regeln des Judentums waren den meisten fremd. Nach dem übrigens sehr baseballfreundlichen und keineswegs gesetzestreuen Spruch des Rabbis erschien eine Tageszeitung aus Detroit mit der hebräisch geschriebenen Schlagzeile „Ein frohes neues Jahr“. In diesem Spiel schaffte Greenberg zwei Homeruns, die Detroit Tigers gewannen.

Kurze Zeit später aber lehnte es Greenberg ab, an Yom Kippur zu spielen, einem noch wichtigeren jüdischen Feiertag als Rosh Hashanah. Diese Ablehnung war mutig, wohlmeinend-ängstliche Freunde hatten Greenberg abgeraten: Lieber den Tigers im Kampf um den Ligatitel helfen, lieber nicht die Antisemiten auf den Plan rufen, lieber nicht auffallen. Greenbergs Entscheidung löste in ganz Amerika Reaktionen aus, bei Juden und bei Nichtjuden. Er selbst erinnert sich: „Das einzige Mal in meinem Leben, dass ich mich selbst als Held fühlte, war der Tag, an dem ich damals an Yom Kippur in die Synagoge ging und standing ovations erhielt: Der arme Rabbi steht vorne und betet; plötzlich komme ich herein und die gesamte Gemeinde erhebt sich, dreht sich um und applaudiert.“

Ein Fan, der damals dabei und noch immer beeindruckt war, erinnerte sich in einem Interview mit der Dokumentarfilmerin Aviva Kempner, die 1999 den Film „The Life and Times of Hank Greenberg“ produzierte: „Da kam dieser jüdische Bursche an einem Feiertag in die Synagoge: über 1,90 Meter groß. My God, niemand hatte je einen Juden gesehen, der so groß war. Alle in der Synagoge waren um die 1,70, niemand größer. Es schwirrten immer lauter kleine Leute herum, und dann kam dieses Monster herein.“

Während Greenberg mit seiner Körpergröße Rabbi und Gemeinde schockte, verloren die Detroit Tigers. Doch interessanterweise nahm ihm dies im antisemitischen Klima Detroits niemand übel. Er hatte sich den Respekt vor seinem Glauben ertrotzt. Das Fernbleiben an Yom Kippur brachte Greenberg wesentlich mehr Achtung und hatte einen größeren Anteil an der Bekämpfung des Antisemitismus in den USA als wenige Wochen zuvor seine Bereitschaft, an Rosh Hashanah zu spielen.

Es war Greenbergs größter gesellschaftlicher Erfolg. 31 Jahre dauerte es, bis sich wieder ein jüdischer Baseballprofi weigern sollte, an Yom Kippur zu spielen: Sandy Koufax von den Los Angeles Dodgers. Seinen größten sportlichen Erfolg hatte Greenberg im Jahr 1938. Vier Spieltage noch vor sich, hatte er bereits 58 Homeruns geschlagen, und der legendäre 60-Homeruns-Rekord von Babe Ruth aus dem Jahr 1927 war zum Greifen nah. Aber Greenberg schaffte keinen einzigen mehr.

Es gibt Hinweise, dass gegnerische Werfer die Bälle bewusst tief servierten, so dass Greenberg zwar leichter punkten, aber keinen Homerun mehr schaffen konnte, bei dem man den Ball so treffen muss, dass er über das Spielfeld hinaus fliegt. Die Geschichte, die zu bedeuten hat, dass im damaligen Amerika ein Jude nicht den Rekord des Katholiken Ruth hätte übertreffen dürfen, erzählen viele Baseballanalytiker. Sie verweisen auf Filmauswertungen, und die meisten der Experten sind zu seriös, als dass man die Geschichte als verschwörungstheoretisch abtun könnte.

Greenberg selbst ließ die Antisemitismustheorie nicht gelten. Er sei einfach zu nervös gewesen, hat er einmal erklärt. In Kempners Film äußert ein Fan, der Tag, an dem Greenberg Ruth’ Rekord verpasste, sei in seinem Gedächtnis so präsent wie der Tag der Ermordung Kennedys. Der Rechtsanwalt und Bürgerrechtler Alan Dershowitz vermutet, dass, hätte Greenberg den Rekord eingestellt oder übertroffen, dies gewiss eine Welle der Judenfeindschaft in den USA losgetreten hätte. 1941 wurde Hank Greenberg als einer der ersten US-Sportstars zur Armee eingezogen, und anders als die meisten durfte er nicht seine sportlichen Fähigkeiten in den Dienst der Truppenbetreuung stellen. Stattdessen absolvierte er Aufklärungsflüge über dem Himalaya.

Nach dem Krieg verkauften ihn die Detroit Tigers zu Greenbergs Unverständnis an die Pittsburgh Pirates. Dort beendete er 1947 seine Karriere. In jenem Jahr spielte mit Jackie Robinson der erste schwarze US-Bürger in der Major League. Nach Greenbergs Erfolg für die jüdische Emanzipation folgten Robinsons Bemühungen für die der afroamerikanischen Bevölkerung. Greenberg unterstützte Robinson, und der bedankte sich.

Es gibt eigentlich keinen Grund, über Hank Greenberg weiter nachzudenken. Er hatte nur einen ganz wesentlichen Anteil an der Bekämpfung des Antisemitismus in Amerika. Nach ihm wurde Jackie Robinson zum Baseballhelden. Ähnlich wie Greenberg wurde er es, bevor ihm eine starke Bürgerrechtsbewegung den Rücken stärken konnte. Aber eigentlich gibt es ja auch keinen Grund, über Jackie Robinson nachzudenken.

MARTIN KRAUSS, 36, Sportjournalist in Berlin, guckt gerne Baseball und schreibt unter anderem für die „Allgemeine Jüdische Wochenzeitung“, die „Jungle World“ und den „Freitag“. Im Herbst erscheint von ihm im Werkstattverlag eine Geschichte des deutschen Profiboxens (Koautor: Knud Kohr) und bei Rotbuch ein Buch über Doping.

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