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Mit Babykost geradezu überschüttet

Hebammen wollen wankelmütige Frauen stärken / Fachtagung in Bremen trug neueste Erkenntnisse zusammen / Das Ziel des Fachtreffens in der Hansestadt ist die Etablierung einer neuen Stillkultur weltweit

Der gute Wille ist da. Gegenwärtig sind 90 Prozent aller bundesdeutschen Frauen entschlossen, ihr Kind nach der Geburt zu stillen: Die Mehrheit will die Muttermilch ihrem Kind nicht vorenthalten, berichtet der Bund Deutscher Hebammen - getreu der Maxime: Babynahrung - nein danke. Doch das ist der Vorsatz. Die Realität sieht anders aus: Tatsächlich werden bereits vier Wochen nach der Geburt nur noch 60 Prozent aller Säuglinge voll gestillt. Und das, obwohl laut Empfehlung der Weltgesundheitsorganisation (WHO) mindestens sechs Monate ausschließlich gestillt werden sollte.

Schnöde Zahlen - aber sie stimmen die Hebammen in diesem Land nachdenklich: Was läuft falsch, wenn so viele Frauen ihr Kind stillen wollen und es dann doch nicht tun? Diese und viele andere Fragen rund ums Stillen standen am vergangenen Wochenende bei dem Bremer Hebammenkongress „Stillzeit - Zeit für Vielfalt“ auf der Tagesordnung. „Stillen ist ein Grundrecht“, sagt die Bundesstillbeauftragte Sabine Koopmann. „Frauen müssen darin bestärkt werden, dieses Grundrecht auch wirklich wahrzunehmen.“

Die Re-etablierung einer echten Stillkultur wünschen sich viele Hebammen und ÄrztInnen. Über Jahrtausende hinweg war die Ernährung von Säuglingen mit Muttermilch die einzige Möglichkeit, das Leben der Nachkommen zu sichern. Erst mit dem Aufkommen der Lebensmittelindustrie wurde sie in Frage gestellt. Inzwischen ist der Markt für Babynahrung riesig und - bei stagnierenden Geburtenzahlen - vor allem hart umkämpft.

„Frauen sind daher in hohem Maße tendenziöser Werbung ausgesetzt“, kritisiert Magdalena Weiß, die Präsidentin des Bundes Deutscher Hebammen. Die Hersteller greifen vielfach auf äußerst offensive Methoden zurück. So werden Frauen nach der Entbindung in vielen Kliniken mit Babykost aus der Tüte geradezu überschüttet. Und auch nach dem Verlassen der Klinik flattern die Proben weiterhin ins Haus. „Die Adressenlisten der Entbindenden werden an die Babynahrungshersteller weitergegeben“, weiß die Stuttgarter Gynäkologin Friederike Perl. Die Versuchung ist somit groß. Denn Stillen kann mit Krisen und Schmerzen verbunden sein. Auf die damit einhergehenden Momente der Schwäche zählt die Industrie. Das Anliegen der Hebammen ist es jedoch nicht, auf die Industrie einzudreschen. „Wir haben einen positiven, auf die Mütter bezogenen Ansatz“, sagt Koopmann.

Das heißt: Mütter sollen über die vielen positiven Seiten des Stillens gezielt informiert werden, um so eine bewusste Entscheidung für sich und ihr Kind treffen zu können. Aufgeklärte und von Hebammen betreute Frauen greifen erfahrungsgemäß weniger schnell zum Fertigprodukt. Stillen ist gesund, sagen die Hebammen. Für Mutter und Kind. Mehrmonatiges Stillen senkt bei der Mutter zum Beispiel deutlich das Risiko, an Brustkrebs zu erkranken. Gestillte Kinder haben in ihrem späteren Leben seltener Allergien als nicht-gestillte Kinder. Auch das gilt inzwischen als erwiesen. „Insgesamt wird die kognitive und sprachliche Entwicklung des Kindes positiv beeinflusst“, meint die Verbandspräsidentin Weiß. Es gibt sogar Studien, die einen Zusammenhang zwischen erhöhter Intelligenz und Stillen herstellen. Und von manchen Krankheiten, wie beispielsweise schweren Durchfallerkrankungen, bleiben gestillte Babys in den ersten Lebensmonaten ganz und gar verschont. „Diese Erkenntnis hat in den USA sogar eine Diskussion darüber entfacht, ob nicht die Hersteller von Babynahrung für die Gesundheitsschäden haftbar gemacht werden sollen“, berichtet auch die Gynäkologin Perl.

Besonders in den ärmeren Ländern der Erde ist der Einsatz von Muttermilchersatzprodukten häufig fatal. „Unhygienische oder falsche Zubereitung der Babykost, da viele Frauen die Packungs-Anweisungen gar nicht lesen können, sind oft tödlich für den Säugling“, erzählt Andreas Adelberger, Geschäftsführer der Aktionsgruppe Babynahrung e.V. Laut WHO sterben in den sogenannten Entwicklungsländern jährlich circa 1,5 Millionen Kinder, weil ihnen die Muttermilch verweigert wird. Von Müttern, die dem von der Industrie sorgsam gehegten „Flaschenmythos“ erlegen sind und glauben, ihrem Kind etwas Gutes zu tun.

Empörend findet Adelberger das, der auf dem Kongress über den „Internationalen WHO-Kodex zur Vermarktung von Muttermilchersatzprodukten“ referierte. Der 1981 verabschiedete Kodex brandmarkt die aggressive Vermarktung von Babynahrung, insbesondere die Abgabe von Gratisproben an Mütter als ethisch nicht vertretbar. Doch mit der Ethik ist das so eine Sache. Zurzeit wird der Kodex noch täglich gebrochen.

Tanja Vogt

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