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Die verhinderte Wissensmetropole

Der Wissenschaftsrat hat die Berliner Hochschulen begutachtet: Weil sie zu wenig kooperieren, bleibt die Stadt hinter ihren Möglichkeiten zurück

von RALPH BOLLMANN

Drei Universitäten, eine große Kunsthochschule, vier staatliche Fachhochschulen, 85.000 Studienplätze – solche Zahlen alleine machen noch keine Wissenschaftsmetropole aus. Derzeit, da sind sich die meisten Fachleute einig, bleibt Berlin als Ort von Forschung und Lehre noch hinter einer Stadt wie München zurück.

Nur ein Teil dieser Misere lässt sich aus der hauptstädtischen Finanznot erklären. Aus dem Vorhandenen könnten die Hochschulen des Stadtstaates mehr machen – wenn sie ihre Angebote besser aufeinander abstimmen würden. Das ist das Ergebnis eines Gutachtens, das der Kölner Wissenschaftsrat heute offiziell vorstellt. Die Stellungnahme dieses Bund-Länder-Gremiums für Hochschulplanung hatte die taz bereits im Februar auszugsweise veröffentlicht. Unter Hochschulexperten gilt es als ausgemacht, dass in Zeiten fortschreitender Spezialisierung auch große Universitäten nicht mehr das ganze Fächerspektrum bis in die kleinsten Verästelungen anbieten können. Deshalb haben selbst in Flächenstaaten wie Rheinland-Pfalz oder Nordrhein-Westfalen die Hochschulen begonnen, sich bei der Berufung von Professoren abzusprechen. In Berlin dagegen ließ die Politik die Humboldt-Universität im Osten, Freie und Technische Universität im Westen nach dem Fall der Mauer in dem Glauben, sie könnten sich völlig unabhängig voneinander entwickeln. Das hatte auch Vorteile: Hätte sich die Humboldt-Universität (HU) bei ihrer Erneuerung nach der Wende von der damals wenig reformbereiten Freien Universität (FU) gängeln lassen müssen, hätte sie sich niemals auf die vorderen Ränge der deutschen Wissenschaft vorarbeiten können. Als das Geld immer knapper wurde, kam der Kurswechsel – aber keine sinnvolle Planung. Die Hochschulen durften weitgehend selbst bestimmen, welche Professorenstellen wegfallen sollten. Kein Wunder, dass die Standesvertreter in den universitären Gremien vor allem eigene Pfründen verteidigten. Um gegenzusteuern, hatte der frühere Wissenschaftssenator Peter Radunski (CDU) jenes Gutachten bestellt, das der Wissenschaftsrat heute vorstellt. Am härtesten geht das Beratergremium mit den „Regionalwissenschaften“ ins Gericht, einer Berliner Spezialität: Wie in keiner anderen Stadt sind an den hauptstädtischen Hochschulen Institute entstanden, an denen sich Wissenschaftler verschiedener Disziplinen mit einer bestimmten geografischen Region befassen. Beim John-F.-Kennedy-Institut für Nordamerikastudien sei dieses Konzept durchaus aufgegangen, befanden die Wissenschaftler – in ihren Augen eine Ausnahme. Denn das Osteuropa-Institut der FU empfehlen sie zur Schließung. Sie werfen den Wissenschaftlern vor, zu wenig interdisziplinär zu arbeiten und auf die Auflösung des Ostblocks nicht angemessen reagiert zu haben. Weniger überraschend kam die Empfehlung, das Frankreich-Zentrum an der Technischen Universität (TU) zu schließen: Es wurde just zu jenem Zeitpunkt gegründet, als die TU gerade ihren Romanistik-Studiengang abgeschafft hatte. An der HU soll das Großbritannien-Zentrum entfallen, das sich nach dem Urteil des Wissenschaftsrats zu wenig um die Ausbildung der Anglisten kümmert.

Keine Abwicklung, dafür aber eine durchgreifende Umstrukturierung empfiehlt das Beratergremium bei den „kleinen Fächern“ wie Ägyptologie oder Theaterwissenschaft. Diese so genannten Orchideenfächer sollen lieber an einer einzigen Hochschule konzentriert werden, statt an zwei Universitäten mit mangelnder Ausstattung ihr Dasein zu fristen. Ganz dick kommt es für die teilweise sehr renommierten Geisteswissenschaften an der TU. Nach dem Krieg von den britischen Besatzern zwecks demokratischer Umerziehung der Ingenieure gegründet, sollen sie künftig nur noch bei striktem Technikbezug weiter bestehen.

Doch ein Gutachten ist noch kein politischer Beschluss. Jetzt ist der Berliner Senat am Zug. Wissenschaftssenator Christoph Stölzl (parteilos) hat die Ratschläge der Experten schon begrüßt. Eine erste Stellungnahme zu den einzelnen Empfehlungen will er am Freitag abgeben.

Hinweis:Bei fortschreitender Spezialisierung kann eine Uni nicht mehr das ganze Fächerspektrum abdecken

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