: Grüne: Mit Clement brechen?
Den Grünen bleibt nur eine Chance: in die Opposition zu gehen. Sonst werden sie auch noch die letzten Reste ihrer ohnehin schwindenden Identität verlieren.
Das Wahlergebnis von Nordrhein-Westfalen hat gezeigt, dass die Grünen, dass wir Grünen, unwiderruflich absteigen. Man kann es drehen und wenden wie man will, man kann hier überhöht gute Wahlergebnisse anführen und dort Fehler in der Kommunikation von Erfolgen – dass die Regierungsbeteiligung jedenfalls bei Wählerinnen und Wählern nicht honoriert wurde, ist unbezweifelbar.
In dieser Situation stehen zwei Optionen offen: aus purer Überzeugung von der Güte der betriebenen Regierungspolitik auch noch angeschlagen weiter zu machen – oder den Gang in die Opposition anzutreten, damit dem demokratischen Souverän Respekt zu bekunden und die – freilich geringe – Chance der Erneuerung zu nutzen. Dass die Grünen in NRW von der Regierungspolitik der letzten fünf Jahre, sieht man von ein paar Punkten beim Verbraucherschutz und einer unauffälligen Wohnungspolitik ab, in der Sache überzeugt sind, glaubt niemand, nicht einmal die grünen Regierenden selbst. Beim wichtigsten ökologischen Thema gelten sie nur noch als Sand im Getriebe – Sand, der so fein ist, dass er nichts mehr aufhält. Aber auch der Gang in die Opposition verbürgt keine Erneuerung. Das zeigen die hessischen Grünen, die sich von der Wahlniederlage immer noch nicht erholt haben und dafür kürzlich ihre Fraktionschefin bei der Wahl zur Landesvorsitzenden abstraften. Wäre es dann, in der Hoffnung auf bessere Zeiten und darauf, dass die SPD der Partei eine Brosame übrig lässt, nicht besser, (wenn auch beirrt) weiterzumachen?
Ein Blick auf den Bund, auf NRW, auf Schleswig-Holstein und Hessen zeigt bei allen Unterschieden eines: An der Regierung hat sich die grüne Partei zur Unkenntlichkeit, ihre Regierungsmannschaft aber zur Kenntlichkeit verändert. Deshalb hat es seinen guten Sinn, dass die Signale allerorten auf sozialliberale Koalitionen zeigen. Im Bund und künftig in NRW wird nämlich gar nichts anderes exekutiert werden, als eine sozialliberale Politik reinsten Wassers, nur dass die Grünen – einst eine wertkonservative und linke Partei – hier einen Part spielen, der weder ihrer Basis noch ihren Überzeugungen entspricht. Am Ende wird die Partei in Land und Bund all ihr Blut verloren haben und als wertloses Bündel, bar jeder Lebenskraft, verbleichen. Unsere RealpolitikerInnen, die immer wieder mit wehem Lächeln auf die ach so intelligenten Konzepte, die nur unzureichend kommunizert würden, verweisen, haben immer noch nicht verstanden, dass sie damit einem experto- und technokratischen Politikverständnis huldigen, das die leidenschaftlichen Grundimpulse politischen Handelns verkennt. Es waren Stimmungen, Protesthaltungen, das Lebensgefühl einer Generation und die Hoffnung auf substanzielle Veränderungen, die unsere Partei in die Parlamente brachte, und nicht die eine oder andere gut gestrickte Novelle zum Steuerrecht.
Glaubwürdigkeit gewinnt nur zurück, wer aus Fehlern lernt und genau dies dem Wahlvolk kommuniziert. Der Gang der Grünen in die Opposition in Düsseldorf würde der SPD keineswegs unmittelbar nützen – weder im Land, noch im Bund. Sie wäre dann endlich ernsthaft gezwungen zu überlegen, ob sie Schröders oder Eichels Politik des TINA („there is no alternative“) wirklich mittragen will. Sie müsste sich dann ernsthaft zu der bisher mit uns handzahmen, identitätslos gewordenen Grünen unter der Hand durchgesetzten neoliberalen Politik bekennen – oder eben nicht. Die Opposition in Düsseldorf wäre ein Zeichen dafür, dass die Partei es mit ihrer immer wieder beschworenen Erneuerung ernst meint. An der Regierung zu bleiben hieße indes nichts anderes als ein schallendes Ja zu einem trostlosen „weiter so“. MICHA BRUMLIK
Der Autor ist Erziehungswissenschaftler an der Universität Heidelberg, Publizist und Mitglied der Grünen in Frankfurt am Main.
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