: Schlechte Kooperation
Der Vorsitzende des Wissenschaftsrats, Winfried Schulze, plädiert für einen Landeshochschulrat, um die Kooperation der Unis zu verbessern. Mehrfachangebote sollen abgebaut werden
Interview RALPH BOLLMANN
taz: Sie kritisieren in Ihrem Gutachten die mangelhafte Zusammenarbeit der Berliner Hochschulen. Was ist in den letzten Jahren schief gelaufen?
Winfried Schulze: TU und FU mussten ein Drittel ihrer Stellen abbauen. Da versucht man erst einmal, sich selbst zu retten. Deshalb haben wir in Berlin eine unterentwickelte Kultur der Kooperation. Wir brauchen ein Instrument, das solche Lenkungsaufgaben wahrnimmt. Deshalb schlagen wir vor, einen Landeshochschulrat zu schaffen.
Sie haben von der „Schlamperei“ der Hochschulen gesprochen. Was meinen Sie damit?
Die Personalstruktur, die sich in Berlin in den vergangenen 20 oder 30 Jahren ergeben hat, wurde unhinterfragt als notwendig hingestellt. In einzelnen Fächern war die Personalausstattung dreimal so hoch als in vergleichbaren Bundesländern – ohne dass es sich mit herausragenden Leistungen erklären lässt. Hier müssen die Hochschulen ihre Hausaufgaben machen. Dann wird die Politik auch bereit sein, Geld in das Hochschulsystem zu stecken.
Sie empfehlen, die Zahl von 85.000 Studienplätzen nicht erneut zu unterschreiten. Haben Sie diese politische Vorgabe ungeprüft übernommen?
Nein. Diese sehr gut begründete Zahl beruht auf bundesweit üblichen Berechnungsmethoden. Wir haben sozusagen für alle Studierwilligen aus Berlin einen Studienplatz bereit gestellt und darüber hinaus einen Zuschlag für Studierwillige aus anderen Bundesländern eingebaut – denn die Attraktivität Berlins als Studienort wird in den kommenden Jahren noch steigen.
Muss Berlin für diese solche Hauptstadtlasten einen Ausgleich bekommen wie im Kulturbereich?
Das ist eine schwierige Frage. Der Bund trägt schon seinen Teil zur Finanzierung der Hochschulsysteme bei. Aber wenn in einigen Jahren deutlich werden sollte, dass der Ansturm auf die Berliner Hochschulen größer ist als erwartet, dann wird man über diesen Bereich sprechen müssen.
Vor acht Jahren gab es eine Kommission, die ganz ähnliche Vorschläge gemacht hat. Davon wurde nichts umgesetzt. Was macht Sie zuversichtlich, dass es diesmal anders sein wird?
Die Ausgangslage für eine Veränderung des Hochschulsystems ist besser geworden. Die dramatische Mittelknappheit führt dazu, dass die letzten Reserven mobilisiert werden müssen. Außerdem gibt es eine lebhafte Reformdebatte. Das Land würde sich selbst politisch diskreditieren, wenn es zuerst unseren Rat einholt, um ihn dann beiseite zu legen und weiter zu wursteln wie bisher.
Es gibt einige Punkte, die in Berlin besonders umstritten sind. Sie schlagen zum Beispiel vor, am Otto-Suhr-Institut die Zahl der Professorenstellen noch einmal um die Hälfte zu reduzieren. Machen Sie damit nicht eine bewusst getroffene Schwerpunktbildung zunichte?
Ich glaube nicht. Die Zahl von Professoren, die wir vorgeschlagen haben, liegt immer noch deutlich höher als an vergleichbaren Fakultäten in anderen Bundesländern. Natürlich haben wir überhaupt nichts dagegen, dass die FU hier einen Schwerpunkt setzt. Das muss aber durch besondere Leistungen in Lehre und Forschung legitimiert sein, und es müssen in anderen Bereichen entsprechende Einsparungen vorgenommen werden.
Das Osteuropa-Institut wollen Sie gleich ganz schließen. Die FU aber sagt, die Beschäftigung mit Osteuropa sei wichtiger denn je.
Dann frage ich mich, warum die FU in den vergangenen 15 Jahren nicht alles unternommen hat, um das Osteuropa-Institut wirklich zu einer leistungsfähigen Einrichtung zu machen. Das hat sie nicht getan.
Sie schlagen vor, an der TU künftig auf Geisteswissenschaften ohne Technikbezug zu verzichten. Wird nicht auch hier ein besonderes Profil vernichtet?
Wir haben ja nicht gesagt: Die Geisteswissenschaften müssen völlig verschwinden. Bestimmte Bereiche sollen bleiben, sie sollen sich aber auf Theorie und Geschichte von Naturwissenschaften und Technik konzentrieren. Wir sind aber in der Tat der Meinung, dass die Dreifachbesetzung der Geschichtswissenschaften in Berlin politisch nicht zu vertreten ist.
Derart drastische Einschnitte haben Sie für die Humboldt-Universität nicht empfohlen. Soll das heißen, dass diese Hochschule schon jetzt am sinnvollsten strukturiert ist?
Die Humboldt-Universität kann auf den Vorteil zurückgreifen, dass sie erst vor zehn Jahren unter hohem Beratungsaufwand gegründet wurde. Die Sünden der Personalpolitik in den 70er-Jahren hat sie nicht zu verkraften. Trotzdem ist die HU in einer schwierigen Lage, weil sie ihren geplanten Aufbau auf halber Strecke abbrechen musste.
Winfried Schulze (57) ist seit zwei Jahren Vorsitzender des Wissenschaftsrats in Köln. Das Bund-Länder-Gremium spricht zur Hochschulpolitik Empfehlungen aus, die faktisch jedoch Leitfunktion haben. Schulze, der seine wissenschaftliche Laufbahn in Berlin begann, ist seit 1993 Professor für die Geschichte der frühen Neuzeit an der Universität München.
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