: Zeitfresser sind in der Stadt
■ Das Bremer EXPO-Projekt „zeiten:der:stadt“ soll mehr Zeit-Wohlstand bringen
„Zeiten sind nicht von Gott gegeben, sondern Verhandlungssache“, meint Dr. Peter Beier. Dass hätte man in früheren Zeiten gewiss anders gesehen, doch Beier ist ein Mensch des 3. Jahrtausends. Gott ist schon lange gestorben, nun soll die Industriegesellschaft mit ihrem administrativen Blähbauch eingedampft werden. Dienstleistung, bittesehr! Doch gemach.
Peter Beier ist der Bremer Koordinator des EXPO-Projekts „zeiten:der:stadt“. Er sitzt im Verwaltungsgebäude der Angestelltenkammer; um ihn herum: Zeitfresser. Die Menschen würden immer weniger Zeit bei der Arbeit verbringen, sagt Beier, doch mehr eigene Zeit hätte dadurch niemand. Die Organisation des Alltags sei es, die sie auffressen würde: Behörden, deren Öffnungszeiten geheimen Regeln zu gehorchen scheinen; absurde ÖPNV-Fahrpläne; Kinder, die nach Schulschluss auf der Straße stehen. Angebot und Nachfrage passen einfach nicht zusammen. Der Bürger als Kundschaft werden schlecht bedient.
Damit sich das ändert, haben sich in Bremen Gewerkschaften und Kammern, Rathaus und Universität, Gleichstellungsstelle und BSAG zu einem „Forum“ zusammengeschlossen. „Über Zeit, Zeit-Takte, Zeit-Arrangements muss neu verhandelt werden“, heißt die Devise. Die BürgerInnen der Stadt sollen mit ihren wichtigsten Taktgebern – Arbeitgebern, ÖPNV, Handel usw. – Vereinbarungen schließen, um mehr Zeit-Wohlstand zu gewinnen.
Auch die Städte Hamburg und Hannover („Nordverbund“) haben sich diese Art kommunaler Zeitpolitik auf ihre Fahnen geschrieben; Europa ist im Rahmen des Projekts EUREXCTER mit ihm Spiel und „weltweit“ ist das Ganze als EXPO-Projekt sowieso.
Bloß: Wie soll man sich „Zeit“ angucken? Wie einen „Prozess“ bestaunen. Oder eine „Moderation“. Man ahnt es schon: Das EXPO-Projekt „zeiten:der:stadt“ erscheint ersteinmal mächtig theoretisch. Drumherum: die Aura des Zeitgeists.
Was gibt's also zu sehen? Das Forum bietet ein Buch, eine Wan-derausstellung aus Pappe, einen Videofilm und eine Dokumentation an. Der eigentliche EXPO-Beitrag wird aber eine Ausstellung in der unteren Rathaushalle sein (ab. 27. August). Dort soll ein „gläsernes“ Bürgeramt mit sensationellen Öffnungszeiten eingerichtet werden (10 bis 20 Uhr). Mit zwei echten Verwaltungsmitarbeitern! Die Besucher werden mit einem Würfelmodell Stundenpläne basteln können. Ein Spiel zum Thema ist im Angebot, ebenso eine Zeitmaschine, über die Dr. Beier noch nichts verraten möchte. Oder kann?
Poli:zeiten Im Bremer Westen „begleitet“ zeiten:der:stadt einen Modellversuch zu Polizeireform und Sicherheit im öffentlichen Raum. Mit dem EXPO-Thema scheinen die Aspekte „Dienstplangestaltung“ und „Präsenzanforderungen“ noch am meisten zu tun zu haben. Kontaktpolizisten (KOPs) sollen „mehr Zeit für Sicherheit“ haben.
Schul:ZeitenAn fünf Standorten in Bremen, unter anderem in der Vahr, werden Kooperationen zwischen Schule, Horteinrichtungen und Elterninitiativen geprobt. Ziel ist ein verlässliches Betreuungsangebot für Grundschulkinder. Schule als sozialer Ort im Stadtteil.
Amts:Zeiten – Bürger:Zeiten Aus traditionellen Ortsämtern sollen kunden- und dienstleistungsorientierte Bürgerämter mit erweitertertem Service angebot werden – inclusive Auskünften zum Fahrplan oder zur Müllabfuhr.
zeit:büro Das originäre Projekt der Bremer Initiative. Im Vegesacker Zeitbüro will man die Zeitnöte und -wünsche der Menschen im Bremer Norden ermitteln. Die Einrichtung veranstaltet Dienstleistungstage und eine Mobilitätsbörse. Daran nehmen verschiedenste regionale Mobilitätsanbieter teil – wie zum Beispiel die Bahn. Ziel der Veranstaltung, die zwischen den Interessen der Kunden und denen der Anbieter moderieren soll: Zeitstress abbauen.
Ganz so einfach scheinen all die schönen Vorhaben nicht realisierbar zu sein. Die Verwaltungsapparate seien träge, sagt Koordinator Beier. Er und seine Mitarbeiterin Ulrike Osten haben einfach viele Wünsche, „viel mehr, als dann auch tatsächlich umgesetzt werden“. Beide betonen den prozesshaften Charakter von „zeiten:der:stadt“; auch nach der EXPO würde weiter daran gearbeitet. Doch eines steht jetzt schon fest: Bürgerämter beispielsweise kosten Geld, man braucht mehr Personal, junge, qualifizierte Leute. Meint Beier. Und die Bereitschaft, dies auch zu bezahlen. hase
Kontakt: Tel. 0421/3630177
oder: www.zeiten-der-stadt.de
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