: Zehntausende marschieren für Jesus
Beim „Jesus-Marsch“ zogen unkonventionelle Jesus-Freaks, die Gottesdienste auch mal mit Chips in der Kneipe feiern, und christliche Fundamentalisten, die Dämonen bekämpfen, gemeinsam durch Berlin
Gott scheint so etwas Ähnliches wie ein Automechaniker zu sein. Das meint zumindest Markus Wartner. „Wenn ich mit meinem Leben nicht mehr klar komme“, sagt der 21-Jährige, „dann bete ich zu Gott, der bringt das dann in Ordnung.“ Wartner ist seit vier Jahren bei den „Jesus Freaks“, einer friedlichen Bewegung innerhalb der Freikirche. Zu Jesu Ehren marschierte er am Samstag mit 50.000 Gläubigen verschiedener Konfessionen durch Berlins Mitte.
Dort zeigten sich neben den vielen Anhängern der großen Kirchen auch zahlreiche Transparente jener Gruppierungen, die im Abschlussbericht der Enquetekommission zur Sektenproblematik Erwähnung fanden. Die „Zeugen Jehovas“ waren am Jesus-Tag ebenso vertreten wie das „Christenkommando Hohenschönhausen“, die „Babelsberger“ und die „Aktionsgruppen um Horst Schaffranek“.
Pünktlich um 11.30 Uhr eröffnete Keith Warrington von der Projektleitung unter Musik und aufsteigenden Luftballons den Jesus-Marsch an der Siegessäule. Gemäß den Anleitungen der Inßfobroschüre ragten vorwiegend positiv formulierte Transparente aus der singenden Menge. „Jesus siegt“, „Gott tanken“, „Deutschland braucht Jesus“ und „Manchmal ist die Scheiße groß, dann ist Gott größer“ war zu lesen. Dann teilte sich zu einem zweistündigen Gebetsmarsch in Richtung Alexanderplatz die Menge.
Auf beiden Routen, auf der nördlichen vorbei an Reichstagsgebäude, Friedrichstadtpalast sowie Neuer Synagoge und auf der südlichen über den Potsdamer Platz und die Humboldt-Universität, legte der Zug immer wieder Gebetspausen ein. Aus den Lautsprecherwagen erscholl bekanntes Liedgut.
„Wir sind hier als Individuen“, sagte Jesus-Freak Markus Wartner. Eher ungewöhnlich feiern die Freaks den Gottesdienst auch mal mit Chips und Cola in einer Kneipe oder Disko. „Es kommt doch nicht aufs Material an, sondern auf die Beziehung zu Jesus.“ Diese Offenheit wurde von vielen Anwesenden nicht geteilt.
„Ich habe gehört, dass die evangelische Kirche sogar Homosexuelle traut“, sagte Lisa Eichberger, die seit Februar diesen Jahres der Pfingstler-Gemeinde „Aufwind“ angehört. Da dies laut Bibel eine Sünde sei, findet die 14-Jährige die „evangelische Kirche zu liberal“. Sie ist davon überzeugt, Menschen heilen zu können, indem man „betend Dämone vertreibt“. Dämonie bekundigten auch Schaffranek-Gruppen, deren Plakate sich vorwiegend gegen den Großteil der anwesenden Christen richteten. Von einer Schaffranek-Anhängerin musste sich Markus Wartner anhören, kein Christ zu sein. „Wenn du zu Jesus gehörst, würdest du nicht rauchen“, so die Frau, auf deren Plakat der Vorwurf „80 000 Christen beten hier nur harmlos“ zu lesen war. KATRIN CHOLOTTA
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