: Quote oder Merkel
Vom alten Stil der SPD-Frauen sind weder Schröder noch die „Girlies“ begeistert
von HEIDE OESTREICH
Nein, besonders überzeugend ist er nicht, der Gerhard. Immerhin steht er überhaupt vor ihnen, und die 300 Delegierten der Arbeitsgemeinschaft Sozialdemokratischer Frauen (ASF), die am Wochenende zur Bundeskonferenz nach Potsdam geladen haben, klatschen, als hätten sie noch nicht einmal das erwartet.
Schröder versucht sich eine Viertelstunde lang als Frauenpolitiker, und das läuft nicht ohne Pannen ab. Genossinnen und Genossen, sagt er, aber: Da sind ja gar keine Genossen, ach, doch, „der Matthias sitzt da ja immer noch rum“. Warum der Potsdamer OB Matthias Platzeck da noch rumsitzt, scheint sich Schröder zu fragen, hat der nichts Wichtigeres zu tun?
Und dann spricht Schröder von dem einzigen Thema, dem er innerhalb der Frauenpolitik etwas abgewinnen konnte: Die klugen Frauen haben ihm inzwischen erklärt, dass es nicht nur um Gleichheit geht, Gleichheit ist nämlich etwas unmodern geworden in der schönen neuen SPD. Nein, Frauen in der Privatwirtschaft zu fördern ist ein Gebot der „puren ökonomischen Vernunft“. Da kennt der Kanzler sich aus. Prognosen verheißen mittelfristig Arbeitskräftemangel in den verschiedensten Branchen. Da ist auch Schröder zu dem Schluss gekommen, es könne einfacher sein, Frauen zu fördern, als immer mehr Inder anzuheuern. Schon kündigt er das nächste Konsensgespräch an: mit Vertretern von Großunternehmen, die sich verpflichten sollen, Frauenförderpläne aufzustellen.
Immerhin. „Die erste frauenpolitische Rede, die ein Kanzler je gehalten hat“, da kann man nicht klagen, findet Karin Junker, die Vorsitzende der ASF. Ihre Delegierten allerdings sind nicht ganz so zufrieden. Warum erwähnt er in seinen Reden sonst die Frauen nicht?, hält ihm eine vor. Ja, sagt „der Gerhard“ da ehrlich, wenn er frei rede, dann falle das, was er nicht immer so im Kopf hat, einfach hinten runter. Höhnisches Lachen. Dann schwärmt er den frauenbewegten Frauen von jungen Unternehmerinnen vor, die er getroffen habe, „jung und wirklich selbstbewusst“. – „Wir sind auch selbstbewusst,“ ruft eine empört. – „Ja“, murmelt da der Gerhard, „stimmt, auch selbstbewusst.“ – „Alter Macho“, zischt eine hinterher. „Für den ist das hier ein Witz!“
Der Merkel-Schock
Für die ASF geht es nicht um Witze. Die ehrwürdige Frauenorganisation der SPD, in der alle 230.000 weiblichen Parteigenossinnen automatisch Mitglied sind, blickt auf Großtaten zurück. Hat die Quote erstritten, Anno 1988, und so lange herumgenervt, bis im Parlament 106 von 297 Abgeordneten weiblich sind. Das war nicht lustig, aber heute, wo sogar der Kanzler Frauen in der Wirtschaft fördern will, bekommt die ASF ein Problem.
Natürlich, „die ASF ist ein mahnendes Gewissen“, sagt Ulla Schmidt, frauenpolitische Sprecherin der SPD im Bundestag. Tatsächlich ist in den 87 Anträgen zur Konferenz der gesamte frauenpolitische Sermon fixiert, von A wie Armut ist weiblich bis Z wie Zugang zum Internet. Aber die Mahnerinnen sind nicht sehr beliebt. „Wenn es Posten zu besetzen gibt und die ASF-Frau reflexhaft einwirft, man müsse jetzt aber auch an die Frauen denken, dann verdrehen viele die Augen“, seufzt eine Mitarbeiterin der Parteizentrale. Denn immer noch klingt die ASF, als warte sie darauf, dass die Männer ihnen Posten wie einen Blumenstrauß überreichen. Und jetzt, nach dem Merkel-Schock, erst recht: „Weh getan“ habe das, bekennt Karin Junker. „Die SPD steht nun in der Pflicht, eine Frau in die höchsten Ämter des Staates zu heben. Herr Bundeskanzler, übernehmen Sie!“, fordert sie auf der Konferenz. Den Teufel wird er tun.
„Das kann man nicht einfach fordern, da muss man drauf hinarbeiten“, sagt Anke Fuchs, Vizepräsidentin des Bundestages, kopfschüttelnd. Der Merkel-Schock reißt die Wunden auf, die die Nominierungen nach dem Wahlsieg schlugen. Eine Frau wurde nicht Bundespräsident, eine Frau wurde nicht Bundestagspräsident, eine Frau wurde nicht Fraktionsvorsitzende.
Da kann man weiter die Einhaltung der Quote fordern, wie die ASF. Oder man kann folgern, dass für Frauen einfach die verdammten selben Regeln der Macht gelten wie für Männer. Und dass es Zeit wird, sich darauf einzustellen. „Wir wollten ja immer einen anderen Politikstil“, sinniert Anke Fuchs. „Sachorientiert, nicht so machtgierig und nicht immer dieses Rumgekungel.“
Partei der Stellvertreterinnen
Die Bundestagsvizepräsidentin markiert ziemlich genau, wie weit man mit dieser Einstellung kommt: Die SPD als Partei der Stellvertreterinnen. Heute sieht es so aus, als hätten die Ergebnisse der frauenpolitischen Mühen die ASF heimlich überholt. Denn jetzt sitzen vier SPD-Ministerinnen in der Regierung. Vor lauter Klagen, dass es nicht mehr sind, könnte die ASF übersehen haben, dass die da ganz kräftig Politik machen. Edelgard Bulmahn hebt ein Frauenförderprogramm nach dem anderen aus der Taufe, ringt dem Max-Planck-Institut C 4-Professuren ab und schafft nebenbei mal kurz Stipendien für 100 unbefristete Forschungsstellen für Frauen. Herta Däubler-Gmelin pusht eine zweite EuGH-Richterin durch, hat einem Drittel der Bundesrichter ein „in“ angehängt und werkelt am Gewaltschutzgesetz. Christine Bergmann bringt dem Kanzler bei, wie man Gender Mainstreaming ausspricht und dass das die Regierung per EU-Vertrag dazu verpflichtet, Frauen bei jedem einzelnen Vorhaben der Regierung einzubeziehen. Die ASF-Delegierten klatschen euphorisiert. Aber haben sie es eigentlich schon begriffen? „Eure Anträge gehen mir ehrlich gesagt nicht weit genug“, stellt Edelgard Bulmahn schlicht fest. Da stehen fromme Wünsche über mehr Frauen in der Wissenschaft, während Bulmahn mit den Rektoren schon Förderzahlen aushandelt. Und im Parlament sitzen Frauen, die sind nicht auf dieser Konferenz und noch nicht mal in der ASF aktiv.
„Da kann man doch nur weglaufen!“
Die sitzen in ihrem Abgeordnetenbüro und sagen Sätze wie: „Die Frauenpolitik der SPD schreckt Frauen ab. Junge Frauen, die in die SPD kommen, werden sofort in ein Reservat gesteckt. Und da hören sie nichts als traurige Geschichten. Da kann man doch nur weglaufen!“ Die 31-jährige Nina Hauer hat die ASF gemieden wie eine Krankheit. „Ich will nicht hören, wie diskriminiert ich bin. Ich will wissen, wie ich da rauskomme!“ Die „Kuschelrunde“ ASF bringe eine nicht weiter, stellte sie fest, „man muss Kontakt zu den wichtigen Leuten haben“. Die Analysen der Frauen-Frauen empfindet sie als Zumutung. Die Ungleichheiten würden durch ihre ständige Betonung nur festgeschrieben, meint die ehemalige Juso-Chefin. „Als ich Juso-Vorsitzende wurde, meinten alle, weil ich eine Frau sei, müsse ich jetzt teamorientiert sein und Macht teilen wollen. Ich wollte die Macht nicht teilen!“
„Feminismus neu denken“, so versuchen die Juso-Frauen ihr Unbehagen an der alten Frauenpolitik in Worte zu fassen. Der Geschlechterkampf sei out, die Männer nicht so dämonisch, wie die älteren Frauen sie darstellen. Die jungen Frauen wollen nicht Männer anklagen, wenn die keine Kinder erziehen wollen, sondern ihnen überhaupt die Möglichkeit eröffnen. Mit dem kargen Erziehungsgeld kann kein Hauptverdiener ernsthaft aus dem Beruf aussteigen wollen. Also fordern sie, das Erziehungsgeld an den Lohn zu koppeln. Kinder sollten ganztägig betreut werden, „denn mit Teilzeit kann man einfach keine Karriere machen, auch nicht mit drei Jahren Erziehungsurlaub“, sagt Nina Hauer.
ASF will „diese Girlies“ einbinden
Es geht vor allem um den Stil: Wenn die Älteren reflexhaft „und Frauen“ rufen, als Rudolf Scharping auf der Konferenz von den Männern im Kosovo spricht, wollen die Jüngeren runter von der symbolischen Ebene. Wenn genug Frauen in der Bundeswehr sind, dann braucht man keine Mahnerinnen mehr. Dann wird Scharping von allein von „our girls and boys“ reden, wie US-Kommentatoren im Golfkrieg, als erstmals eine nennenswerte Anzahl von Frauen im Einsatz war.
Die Älteren fühlen sich gründlich missverstanden. Sie sollten doch mal die Emma lesen, empfahl Alice Schwarzer den Jusos herablassend, da stünden ihre bahnbrechenden Analysen schon lange drin. Und Ulla Schmidt findet es ganz normal, dass junge Frauen nicht in die ASF gehen: „Das war immer so. Die haben noch keine Diskriminierung erfahren.“
Könnte sein, dass die Älteren sich irren. Könnte sein, dass die Jüngeren durchaus wissen, was Diskriminierung heißt. Könnte sein, dass sie nur keine Lust mehr haben, Verschwörungstheorien vom Ausschluss der Frauen zu schmieden. „Die überschätzen die intellektuellen Fähigkeiten der Männer“, sagt Nina Hauer. Bei der ASF ist das allerdings noch überhaupt nicht angekommen: „Wir müssen auch diese Girlies mit einbinden“, fordert Ilse Ridder-Melchers, die ehemalige Frauenministerin von NRW. Eine Strategie dafür hat sie nicht.
Der Generationswechsel ist auch einer vom Recht zur Macht. Der Machtmensch Gerhard Schröder hat es verstanden: Statt Rechte zu fordern, wird jetzt ökonomische und politische Macht erobert. Die alten Kämpinnen, die an frauenpoltischen Rechten orientiert sind, urteilen deshalb eher abfällig über Angela Merkel: Frauenpolitisch habe die doch gar keine Spuren hinterlassen, sagt Ulla Schmidt. Aber es gibt einen Merkel-Schock, und den formulieren die Jungen wie Nina Hauer: „Da hat jemand zum ersten Mal strategische Macht.“
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