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Barke des Abschieds

■ Im Zentralkrankenhaus St.-Jürgen-Straße wurde gestern ein Raum vorgestellt, in dem Eltern sich von ihrem gestorbenen Kind trennen können / Etwa 30 Fälle pro Jahr

Ein Schiffchen, das sich sanft nach oben richtet, darauf blaues Tuch, gerahmt von zwei Bänken. Die Wände weiche Wellen, wie von einem warmen Wind gekräuselt, in durchscheinendem Türkis und Weiß, darin orange-goldene Sprenkel – ein Gespinst aus Wasser, Wolken und Sonnenschein. Dieser Raum im Keller eines der vielen Gebäude des Zentralkrankenhauses St.-Jürgen-Straße soll künftig der Ort sein, an dem Eltern von ihren gestorbenen Kindern Abschied nehmen. Gestern wurde das Zimmer vorgestellt.

„Wir sind nicht immer erfolgreich“, sagt Dr. Klaus Albrecht, Direktor der Klinik für Neonatologie und pädiatrische Intensivmedizin. Sie ist eine der drei Einrichtungen, die im Zentrum für Kinderheilkunde und Jugendmedizin zusammengeschlossen sind und den Abschiedsraum initiiert haben. Auch wenn die Zahl sterbender Kinder „unvergleichlich viel geringer als noch vor 20 Jahren“ ist, so „gehört der Tod doch zum täglichen Leben auf der Kinderstation“, sagte Albrecht. Etwa 30 solcher Fälle haben er und seine Kollegen jedes Jahr zu beklagen. Totgeborene Kinder, Unfallopfer, Krebskranke oder kleine Wesen, denen Infektionen oder Missbildungen keine Chance in dieser Welt ließen. Nicht immer sei auf der Station – zumal auf der Intensivstation – genug Zeit und Ruhe. Der Raum soll, formulierte der Arzt, „Eltern ermöglichen, in würdiger Weise von ihren Kindern Abschied zu nehmen.“

„Das Thema soll nicht von den Stationen verbannt werden“, betonte Krankenhausseelsorgerin Elisabeth Lübbren, die das Projekt nach einem Vorbild aus Hannover angestoßen hatte. Als zusätzliches Angebot sei das Zimmerchen zu verstehen. Sie schilderte den Schock, den Eltern erleben, wenn ihr Kind stirbt – „ein absoluter Einbruch“. Man könne sich fragen, ob Eltern in einer solchen Situation ihre Umgebung überhaupt wahrnehmen. Aber die Seelsorgerin ist sicher: „Das wird rüberkommen.“

Zweieinhalb Jahre hat es gedauert, bis der etwa neun Quadratmeter kleine Raum fertig war. Man habe ja nicht irgendein Zimmer nehmen können, sagte Klaus Albrecht. Anforderungen an Hygiene – ein Kühlraum muss nebenan sein – habe man berücksichtigen müssen. Die Gestaltung in sanften warmen Farbtönen hat die Bremer Künstlerin Irmtraud Addicks-Schaefer übernommen. Der Abschiedsraum hat kein Fenster, Licht hinter einem Milchglasquadrat an der Decke soll ein Oberlicht simulieren. Zwei Halogenstehlampen flankieren den Kopf der Barke. Goldene Ornamente, ein bisschen verwischt, schimmern am Fuß.

Regeln, etwa wie viele Tage Menschen hier sein dürften und wie sie mit ihrem toten Kind umgehen sollten, wird es nicht geben. „Dieser Raum ist etwas“, sagte Kinderarzt Albrecht, „mit dem auch wir lernen müssen umzugehen.“ sgi

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