: „Ich bin gegen den politischen Islam“
Ägyptische Fundamentalisten wollen einen Roman des syrischen Schriftstellers Haidar Haidar verbieten. Ein weiterer Versuch, die arabische Gesellschaft zu zerstören, sagt der Autor, der allerdings Zensur nicht ablehnt: „Bei Sachbüchern kann ich mir eine Art Kontrolle vorstellen“
Interview AKTHAM SULIMANund AHMAD HISSOU
taz: Gehören Autoren inzwischen zu den „Risikogruppen“ in der arabischen Welt?
Haidar Haidar: Schreiben war schon immer ein riskantes Unternehmen. Das hängt damit zusammen, dass man sich mit dem Schreiben Dingen nähert, die nicht unbedingt die Billigung der offiziellen Institutionen finden, seien es politische, religiöse oder gesellschaftliche Institutionen. Schreiben an sich ist nicht neutral und ergreift Partei für die Freiheit, Vernunft und Aufklärung. Das sind fundamentale und sensible Bereiche, deren Behandlung oft Gefahren nach sich zieht.
Wie sehen Sie denn „Ein Bankett mit Seegras“ heute?
Meine Meinung über diesen Roman hat sich seit seiner Herausgabe nicht geändert. Ich finde, er hat seinen angemessenen Platz in den Herzen der Leser und Kritiker eingenommen. Mit der gegenwärtigen Kampagne gegen ihn behauptet sich dieser Roman erneut und zeigt, wie weit er die Schieflage in der arabischen Wirklichkeit trifft. Die arabische Gesellschaft ist umkreist von Kräften, die ihre Entwicklung verhindern. Diese Kräfte versuchen außerdem, die Stimmen zum Schweigen zu bringen, die die Wahrheit schonungslos zeigen.
An welche Kräfte denken Sie hier genau?
Ich meine die fanatischen und extremistischen islamistischen Kräfte, die für ihren Terror in der ganzen arabischen Welt bekannt geworden sind. Das sind die Kräfte, die die algerische Gesellschaft zu zerstören versuchen und die eben auch versuchen, in Ägypten die Welt auf den Kopf zu stellen. In Syrien haben sie vor 20 Jahren Ähnliches vollbracht. Diese Kräfte erheben einen Monopolanspruch auf den Islam und verdrehen alles, was gesagt wird, in Richtung ihrer Interessen.
Gibt es denn in Ihren Augen „mehrere Islams“?
Die heilige Schrift ist unterschiedlich interpretierbar, und die Auslegungsdebatte ist eine fundamentale Debatte im Islam. Keiner darf diesbezüglich ein Monopol beanspruchen, denn der Islam ist für alle offen. Jeder Muslim hat das Recht, mit Hilfe seines Verstandes zur Interpretation der heiligen Schrift beizutragen. Meines Erachtens ist die Rolle der Religion eine moralische, aufklärerische und geistige. Zusammengefasst: Religion ist eine Angelegenheit zwischen dir und Gott, die Heimat dagegen eine Angelegenheit aller. Ich bin gegen den politischen Islam. Wenn der Islam von einer einigenden Botschaft Gottes zum politischen Instrument wird, passiert das, was wir heute in Ägypten oder Algerien sehen.
Hat Sie dann die Erklärung der al-Ashar-Moschee, in der die Rede von einer Art „Abfall vom Glauben“ ist, überrascht?
Ich bedauere diese Erklärung zutiefst und glaube fest daran, dass sie unter dem massiven Druck der Fanatiker zustande kam, zumal das Untersuchungskomitee des Kultusministeriums zu einem anderen Urteil gekommen war. Die Erklärung zielt darauf, alle Bücher von der al-Ashar genehmigen zu lassen, bevor sie in Druck gehen. Es bleibt abzuwarten, ob die ägyptischen Intellektuellen das zulassen.
Wer soll Ihrer Meinung nach entscheiden, welche Bücher gedruckt werden dürfen?
Ich finde, der freie und verantwortungsvolle Autor soll selbst darüber entscheiden, was er schreibt. Dies darf nicht zum Gegenstand von Zensur werden. Allerdings beschränkt sich meine Antwort auf literarische Werke, da diese von Metaphern, Symbolik und ästhetischen Dimensionen geprägt sind. Bei Sachbüchern kann ich mir wohl eine Art Kontrolle vorstellen, die durch die „roten Linien“ der jeweiligen Gesellschaft bestimmt wird.
Nun hat die ägyptische Regierung am Wochenende die Aktivitäten der islamistennahen Arbeitspartei eingefroren und die ihr nahstehende Zeitung „Asch-Schaab“ verboten. Befürworten Sie solche Maßnahmen?
Das ist eine Angelegenheit zwischen der ägyptischen Regierung und der Zeitung, die aufgehetzt und öffentlich zum Mord aufgerufen hat, was in meinen Augen Terror in seiner extremsten Form ist. Als Betroffener, der um sein Leben fürchtet, kann ich mich mit diesen Maßnahmen anfreunden. Das heißt aber nicht, dass ich mich nicht anders entschieden hätte, wenn ich der dafür Verantwortliche gewesen wäre.
Was empfanden Sie, als Sie die Bilder der Studenten sahen, die gegen Ihren Roman demonstrierten? Immerhin spielen Studenten und Intellektuelle eine große Rolle als Hoffnungsträger in Ihren Romanen ...
Viele Demonstrierende wurden gefragt, ob sie den Roman gelesen hätten. Die Antwort war nein. Sie wurden gefragt, warum sie denn auf die Straßen gingen. Die Antwort war: Man habe ihnen ein Flugblatt in die Hand gedrückt, in dem es hieß, es gebe ein Buch gegen den Islam, ein Buch, das die Religion herausfordert – und sie würden die Religion verteidigen. Ich war bitter traurig, dass sie das Buch nicht gelesen haben, denn das heißt, sie wurden aufgehetzt und von den Islamisten in der Zeitung Asch-Schaab aufs Glatteis geführt. Es handelt sich also um politische Propaganda. Nachdem der militärische Arm der Islamisten in Ägypten zerstört wurde, versuchen sie sich nun über andere Kanäle eine Rückkehr auf die Bildfläche zu verschaffen. Jedenfalls sind die Menschen, die ich in meinen Büchern anspreche, nicht so naiv, sich so leicht täuschen zu lassen. Was die Intellektuellen betrifft, so muss man feststellen, dass die Kultur in der arabischen Welt in zwei Lager geteilt ist. Das eine Lager ist kritisch, avantgardistisch und strebt eine demokratische Zivilgesellschaft an, während das andere fanatisch, hetzerisch und antidemokratisch ist. Diese kulturelle Spaltung ist das Ergebnis politischer und ideologischer Differenzen. Wenn ich aber von Intellektuellen rede, dann meine ich die avantgardistischen Aufklärer.
In einem Interview mit einer arabischen Zeitung haben Sie neulich gesagt: „Ich bin Muslim, und der Koran ist mein Buch.“ Beugen Sie sich mit solchen Äußerungen nicht dem Druck der Islamisten?
Auf gar keinen Fall, absolut nicht. Aber als sie den einfachen Menschen sagten, ich wäre kein Muslim und würde als Ungläubiger den Tod verdienen, fand ich mich veranlasst, meine Zugehörigkeit zum Islam hervorzuheben, und das ist eine Tatsache. Nur mein Islam ist halt anders als der ihre, meine Auslegung auch. Der Koran ist eine Hauptquelle meiner Kultur, und darauf bin ich stolz. Das heißt, unsere Differenzen und unsere Gemeinsamkeiten sind innerhalb des Rahmens des Islam zu sehen. Ich stehe nicht außerhalb, sodass man sagen könnte, ich würde nun in den Islam eintreten, so als ob ich vorher ungläubig gewesen wäre.
Sie werden also alles so weitermachen wie bisher?
Haargenau! Ich werde vor allem meine literarische Tätigkeit fortsetzen, die schon im Jahre 1968 mit der Veröffentlichung des Erzählbandes „Die Geschichten der Zugmöwe“ angefangen hat. Ich werde mein Projekt fortsetzen, denn ich bin nicht im Unrecht. Diejenigen sind im Unrecht, die Zitate aus dem Zusammenhang reißen, um Menschen zu beschuldigen.
Sie würden also nicht wie der ägyptische Wissenschaftler Nasr Hamid Abu Zaid auswandern?
Niemals, ich rühre mich nicht von der Stelle und werde meine Heimat nicht verlassen. Das Ganze betrachte ich als vorübergehendes Gewitter.
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