: der fall haidar haidar
GOTTESLÄSTERUNG, STUDENTENPROTESTE UND ANDERE ÄGYPTISCHE MISSVERSTÄNDNISSE
Die höchste religiöse Autorität des sunnitischen Islam, die al-Ashar-Moschee in Ägypten, hat entschieden: In einer offiziellen Erklärung Ende letzter Woche hieß es, der Roman „Ein Bankett mit Seegras“ des syrischen Schriftstellers Haidar Haidar beinhalte Beleidigungen gegenüber der Gottheit und der Religion, Aufforderungen zur freien Sexualität und Aufrufe gegen die arabischen Herrscher – ein vernichtendes Urteil. Der Roman stammt aus dem Jahr 1983 und wird als Abrechnung mit arabischen Regimen und als Ausdruck der Sehnsucht nach einer arabischen Renaissance gelesen. Besonders originell ist das nicht: Diesen Tenor hatten viele arabische Werke, die nach der arabischen Niederlage gegen die Israelis im Junikrieg 1967 geschrieben wurden.
Trotzdem sorgt der nie besonders bekannt gewordene Roman jetzt, 17 Jahre nach seinem Erscheinen, für Aufsehen. Nach einer Neuauflage von „Ein Bankett mit Seegras“ in einer Klassikerreihe des ägyptischen Kultusministeriums startete die islamistische Arbeitspartei in ihrer Zeitung Asch-Schaab eine Hetzkampagne gegen alle vermeintlich Verantwortlichen: den Kultusminister, den Verleger und den Autor. Die Kritik richtete sich nicht nur gegen die vermeintliche Gotteslästerung und sexuelle Freizügigkeit im Roman, sondern auch gegen angebliche Unterstützung solcher Inhalte seitens der offiziellen Kulturpolitik.
Diese Kampagne – zu der auch persönliche Beschimpfungen und die Veröffentlichung von Namen und Adressen der Betroffenen gehörte – mündete zunächst in tagelangen Unruhen und Zusammenstößen zwischen protestierenden Studenten der al-Ashar-Universität und der Polizei. Die ägyptische Regierung berief daraufhin ein fünfköpfiges Komitee von Sachverständigen zur Beurteilung des Roman, das „Ein Bankett mit Seegras“ allerdings als „nicht ketzerisch“ einstufte. Nach Meinung der fünf Literaturwissenschaftler und Kritiker sei das Ganze ein „Missverständnis“: Die angesprochenen Zitate seien aus dem Zusammenhang gerissen worden.
Dieses Gutachten wurde der für Staatssicherheitsfragen zuständigen ägyptischen Staatsanwaltschaft vorgelegt, die inzwischen ihrerseits ein Verfahren gegen zwei der Herausgeber eingeleitet hat: wegen „Verbreitung von gotteslästerlichem Material“.
Auch die offizielle Erklärung der al-Ashar-Universität von letzter Woche wird von der Staatsanwaltschaft bei ihren Ermittlungen herangezogen. Am vergangenen Wochenende ließ die ägyptische Regierung die Arbeitspartei und ihre Zeitung Asch-Schaab kurzerhand verbieten, begründete diese Maßnahmen allerdings nicht mit dem Fall Haidar, sondern mit Verstößen gegen das Parteiengesetz.
AKTHAM SULIMAN
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