: Sex mit der Maschine
■ Kraut aus dem Kraftwerkland: Der hessische Elektroniker Anthony Rother
Früher hieß es, dass man die Geschichte kennen sollte, um sie nicht wiederholen zu müssen. Heutzutage ist es eher umgekehrt: Man muß die Geschichte kennen, um sie wiederholen zu dürfen. Die Historie, die auf Anthony Rothers akueller CD anklingt, sind die Anliegen und Ideen Kraftwerks. So wie Kraftwerk einst vor der Computerwelt warnten, feierten sie diese doch mit ihren synthetisch erzeugten Klangskulpturen.
Rund 20 Jahre später beschwört Anthony Rother das Gefahrenpotenzial des Simulationszeitalters (Album-Titel), um seine Musik gleichzeitig als „konsequent futuristisch“ zu bezeichnen. Doch bei aller Verehrung für die musikalischen Vorväter, Rother ist kein Kraftwerkepigone – zu charakteristisch ist sein Stil. Da sind die kargen und doch spannungsgeladenen Melodien, welche er über minimalistisch-strenge Sequenzerpassagen legt und die alienhaften Vocoderstimmen, die bedrohlich von Genmanipulation sprechen.
„Irgendwie typisch für deutsche Elektroniker“, fand zumindest das Ausland. In Miami, wo Rother seine derzeitige Tournee eröffnete, wurde er umjubelt, nicht zuletzt weil Deutschland dort noch immer als Kraftwerkland gilt. Dabei hatten im Amerika der 80er Jahre vornehmlich Schwarze den kraftwerkartigen Elektrosound um eine harte funkige Note erweitert und damit nicht zuletzt die Entwicklung zum Techno ermöglicht. Rother wundert sich: „Es ist schon amüsant. Wenn das Publikum in Amerika deutsch singende Vocoderstimmen hört, dann flippen die völlig aus vor Begeisterung. Aber auch wenn der Sound zwar ursprünglich aus Deutschland kam, ging Elektro in Amerika doch einen ganz eigenen Weg.“
Auch die musikalische Entwicklung des 28-Jährigen Hessen begann in den von GIs besuchten Frankfurter Diskos der 80er Jahre. Seine ersten musikalischen Gehversuche fanden irgendwo zwischen Elektro und Hip Hop dieser Epoche statt. Eine stilistisch noch unselbstständige Phase, wie Rother heute findet und fast wäre er bei profitablem aber künstlerisch entleertem Mainstreamtechno gelandet: „Ich hatte zunächst Musik produziert, die man macht, wenn man nicht weiß, was für Musik man machen soll.“ Doch dann kam der Wechsel: Vor der Produktion der bahnbrechenden E.P. Sex With The Machines hatte sich Rother 1996 für ein Jahr zur musikalischen Selbstfindung zurückgezogen. Ein Sound war entstanden, der in England als „klassische Verbindung europäischer Maschinenpräzision und drahtigem US-Funk“ gelobt wurde. Klassisch, also schon bekannt? Wenn sich hier Geschichte wiederholte, dann auf einer höheren Ebene. Nils Michaelis
mit DJ Carson Plug: Sa, 27. Mai, 22 Uhr, Phonodrome
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