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Schlechte Gezeiten

Arbeitsplatzgarantie bei totaler Verunsicherung: Das kleine Radio Bremen verliert fast ein Drittel seines Etats und soll sich trotzdem ganz neu erfinden

von CHRISTOPH KÖSTER

Gestern hatte Radio Bremen (RB) bloß Sorgen: Die Werbeeinnahmen waren zusammengebrochen, und die Media-Analyse bescheinigte dem Sender schon wieder dramatische Hörerverluste. Das war 1990.

Zehn Jahre später sehnen sich die rund 640 festen MitarbeiterInnen der kleinsten ARD-Anstalt nach diesen vergleichweise unaufgeregten Zeiten zurück: Jetzt muss der Sender mit dem stilisierten Schiff im Logo bis 2005 um fast ein Drittel abspecken. Der ohnhin schon magere Etat von 180 Millionen Mark jährlich wird nach der Kürzung des ARD-Finanzausgleichs um 50 Millionen gekürzt.

Reformen und Reförmchen reichen da nicht mehr. Heute tagt der Rundfunkrat, und RB-Indentant Heinz Glässgen gibt sich trotzig: „Wir müssen den Sender neu erfinden.“

Mut der Verzweiflung? Immerhin war schon die erste Erfindung von Radio Bremen kurios: Weil Bremen und der Seehafen Bremerhaven nach dem Zweiten Weltkrieg US-Exklave mitten in der britischen Zone waren, gab’s auch einen eigenen Sender. Drumherum entstand der Norddeutsche Rundfunk (NDR), doch Radio Bremen funkt noch immer bis vor die Tore Hamburgs wie Hannovers – und war anfangs auch unangefochtene Nummer eins im Nordwesten.

Seit Mitte der 80er Jahre hat der Sender aber immer stärker an Bedeutung verloren. Heute produziert RB vier Radioprogramme sowie TV-Sendungen für das Erste und das N 3, darunter neben dem seltenen Bremen-„Tatort“ das unverwüstliche TV-Regionalmagazin „buten & binnen“. Trotz einiger Zugeständnisse an den Trend zur Banalisierung wirkt gerade dieses Magazin noch immer frischer als alle NDR-Konkurrenz.

Abglanz alter TV-Erfolge

Doch vor allem im Hörfunk hat der NDR mit seinem platten Schlager- und Heimatprogramm „Radio Niedersachsen“ RB-NutzerInnen abgeworben, und auch beim Fernsehen müssten selbst ohne Kürzung des Finanzausgleichs die Alarmglocken schrillen: Bei N 3 kommt Radio Bremen kaum noch, in der ARD so gut wie gar nicht mehr vor. Der Sender sonnte sich derweil im Glanz alter RB-Erfolge: Loriot, Hape Kerkeling, der „Beat Club“ oder die Talkshow „III nach 9“ beglückten oder ärgerten die Fernsehnation. Das Kulturjournal gilt als RB-Erfindung, auch die erste öffentlich-rechliche Jugendwelle, Radio Bremen 4, kommt aus der Hansestadt.

Doch inzwischen ist in der Anstalt, die mit dem Slogan „Klein aber mein“ noch vor kurzem in die Zwergenoffensive gezogen war, die Staatskrise offen ausgebrochen: Die MitarbeiterInnen sind selbst für ARD-Verhältnisse überdurchschnittlich alt, viele gelten zudem als desillusioniert und ausgebrannt. Was folgt, ist die paradoxe Mischung aus öffentlich-rechtlicher Arbeitsplatzgarantie bei totaler Verunsicherung.

Mit der Kürzung des Finanzausgleichs, bei dem die großen reichen ARD-Anstalten bisher die „armen Kleinen“ voll alimentierten, müssen rund 150 Stellen gestrichen werden. Frische Kräfte für einen echten Neuanfang anzuheuern, ist ohnehin illusorisch: Mit einem 130-Millionen-Etat, sagt Intendant Glässgen, könne man den Sender vielleicht neu gründen. Ihn auf dieses Niveau abzuspecken, ist eine undankbare Aufgabe.

Und so haben – wie immer bei öffentlich-rechtlichen Krisen – erst mal die Unternehmensberater verdient: Ausgerechnet Roland Berger und Co. halfen Glässgen bei der Aufteilung von Radio Bremen in „Musts“, „Needs“ und „Nice to haves“. Obwohl täglich neue Gerüchte kursieren, gelten der erst seit 1997 produzierte Bremer „Tatort“ und „buten & binnen“ als sicher.

„Nett zu haben“, lies: verzichtbar, dürften dagegen große Teile des Kulturprogramms Radio Bremen 2 sein, das etwa die Hälfte des Hörfunk-Etats verschlingt. Warum sollte Radio Bremen auch ein Feature zum Bach-Jahr produzieren, wo es gar keinen Regionalbezug gibt? So läuft man in die Falle, auch Besonderheiten auszudörren: Die Zukunft des renommierten Neuetöner-Festivals „Pro Musica Nova“ ist ungewiss. Bremens größter Kulturproduzent geht am Stock.

Die Stimmung im Sender ist gespalten. Wer kann oder will, sucht sich anderswo einen Job. Andere schimpfen auf den SPD-CDU-Senat, weil er die Kürzung des Finanzausgleichs nicht verhindert hat. Und wieder andere glauben an den Neuanfang und werkeln an eigenen Prioritätenlisten herum.

Im Rundfunkrat will Glässgen heute neue Vorschläge zur Zukunft der Programme machen. Außerdem sollen umgehend zwei der drei bislang freien Direktorenposten neu besetzt werden. Gerade dies werten manche als Hoffnungsschimmer: dass überhaupt noch jemand beim Sender anfangen will.

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