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Eine Szene im Fadenkreuz

Der vergangene Woche in Kanada wegen Zugehörigkeit zu den RZ verhaftete Berliner Lothar E. war in den 80ern Hausmeister im Mehringhof. Jetzt verhört die BAW sein früheres persönliches Umfeld

von HERMANN PFLEIDERER

Die Bundesanwaltschaft (BAW) in Karlsruhe hat das alte linke Milieu in Berlin aufs Korn genommen. Nach den umfangreichen Aussagen eines ehemaligen Mitglieds der Revolutionären Zellen (RZ) im vergangenen Jahr verhört die BAW nach und nach einen großen Kreis von BerlinerInnen und führt wiederholt Verhaftungen durch. Zuletzt am vergangenen Donnerstag in Kanada, als der 46-jährige ehemalige Berliner Lothar E. unter dem Vorwurf, bis in die Neunzigerjahre den RZ angehört zu haben, festgenommen wurde.

Lothar E., der jetzt in Auslieferungshaft sitzt und auf seine Kautionsverhandlung Anfang Juni wartet, beteiligte sich Ende der 70er-Jahre an der damaligen Szenekollektivkneipe „Spektrum“ in der Koburger Straße. Mit der Kneipe, die heute unter dem Namen „EX“ bekannt ist, zog er 1980 in den Mehringhof um. Im Laufe der 80er-Jahre übernahm er einen großen Teil der Hausmeistertätigkeiten im Mehringhof, unterbrochen von längeren Aufenthalten in der kanadischen Wildnis.

Bereits im Dezember hatte die BAW zeitgleich mit einer Razzia im Mehringhof einen anderen Hausmeister des Komplexes mit denselben Vorwürfen in Haft genommen. Mit dem Mehringhof hat Lothar E. aber schon länger nichts mehr zu tun. Mitte der 90er-Jahre entschloss er sich zur endgültigen Übersiedlung nach Kanada und beantragte inzwischen sogar die dortige Staatsbürgerschaft. Diesen Sommer rechnete er mit der Vereidigung.

Inzwischen berichteten FreundInnen von Lothar E. aus Yellowknife der taz über die Festnahme. Gegen 8 Uhr abends (Ortszeit) soll Lothar E. von einem Mann mit einem kaputten Holzkanu aus seinem Haus gebeten und in ein Gespräch über Reparaturmöglichkeiten verwickelt worden sein. In diesem Moment, so berichten die ZeugInnen, stürzten aus einem weiteren Fahrzeug vier Männer herbei, warfen Lothar E. auf den Boden und fesselten ihn an Händen und Füßen. Anschließend wurde die von Lothar E. mit betriebene Pension „Back Bay Boat Bed and Breakfast“ von zwölf weiteren kanadischen Polizisten durchsucht. Die ganze Zeit befand sich ein Kriminaloberkommissar Trede vom BKA vor Ort.

Zeitgleich wurde in Berlin eine Mitbetreiberin der Pension in Yellowknife, die sich zu einem fünftägigen familiären Besuch in Deutschland aufhielt, von der Berliner Polizei festgesetzt und einer Befragung als Zeugin durch die BAW unterzogen. Als sie die Aussage verweigerte, durfte sie wieder gehen.

Die Verhaftung des Deutschen löste in der am Nordrand des Großen Sklavensees gelegenen Kleinstadt Yellowknife mit etwa 18.000 EinwohnerInnen einige Verwirrung aus. Die einzige lokale Zeitung, The Yellowknifer, schreibt, „dass die Einwohner nur mit dem Kopf schütteln über die Verhaftung des freundlichen, hart arbeitenden Inhabers einer ‚Bed & Breakfast‘-Pension aufgrund des Vorwurfs, Mitglied einer deutschen Terrorgruppe zu sein“.

Lothar E. baut nun darauf, dass kanadische Gerichte die nur auf den Aussagen des Kronzeugen Tarek Mousli beruhenden Vorwürfe gegen ihn ein wenig kritischer als deutsche Gerichte betrachten und das Auslieferungsbegehren der BAW zurückweisen werden. Auf welch dünnem Eis sich die Vorwürfe offenbar bewegen, zeigen auch die Versuche der BAW in den vergangenen Tagen, aus dem sozialen Umfeld des wegen RZ-Mitgliedschaft Beschuldigten Aussagen zu bekommen. Mehrfach werden von Betroffenen Besuche durch Beamte der BAW erwähnt.

Wie berichtet war Lothar E. am 18. Mai verhaftet worden. Die Bundesanwaltschaft wirft ihm die Beteiligung an zwei Sprengstoffanschlägen sowie die Mitgliedschaft in den Revolutionären Zellen vor. Außerdem soll er laut BAW an den Knieschüssen auf den Leiter der Berliner Ausländerbehörde, Hollenberg, 1986 sowie auf den Asylrichter Korbmacher 1987 beteiligt gewesen sein. Die BAW hat seine Auslieferung beantragt.

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